Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig
nicht teilen will, muss man ihm alles nehmen. Das ist doch gerecht! Oder seid Ihr anderer Meinung?“
„Ja, ja“, erwiderte Herzog Eberhard vorsichtig. „Es ist gerecht, dass Ihr Eure Ansprüche stellt. Doch wie wollt Ihr sie durchsetzen?“
„Mit Eurer Hilfe, die Ihr mir schuldig seid – nach dem, was Ihr an mir verbrochen habt. Und natürlich auch mit der Hilfe anderer. Ich könnte Euch Namen nennen, Namen hoch gestellter, wehrhafter, vermögender Männer … aber dazu ist es zu früh. Ich müsste ja erst herausfinden, ob Euch zu trauen ist. Noch könnt Ihr auch nein sagen – dann hat dieses Gespräch niemals stattgefunden. Bedenkt aber, dass es sich um die zweite Bedingung handelt, die ebenso unverzichtbar ist wie die erste. Entscheidet Euch. Entscheidet Euch richtig! Ich gebe Euch Zeit.“
Heinrich wandte sich ab, trat an das schmale Fenster und blickte hinaus.
|166| Herzog Eberhard stierte auf seinen Rücken und entrüstete sich im Stillen wieder über die Unverschämtheit dieses jungen Kerls, der sein Gefangener war, doch ihm großmütig Zeit gab, über die Bedingungen nachzudenken, unter denen er das Geschenk der Freiheit annehmen würde. Doch schnell gewann der Gedanke an seine Bedrängnis wieder Oberhand und zwang seinen sonst eher schwerfällig arbeitenden Geist zu einer Folge rascher Überlegungen.
Störer des Friedens, Verräter, Eidbrecher – wenn er dem König in die Hände fiele, reichte das für den Henker. So hatte er es gerade von Heinrich und vorher von Erzbischof Friedrich gehört. Kein Wort würde König Otto ihm glauben, wenn er versuchte, sich herauszureden. Nur mächtige Fürsprecher konnten ihn retten. Würde er Heinrichs Angebot ablehnen, hätte er nur noch einen – den Erzbischof, der selbst der Wirkung seines Einflusses nicht traute. Und dieser boshafte, hinterhältige Prinz würde ihm eine Zurückweisung heimzahlen, ihn anklagen, die Wochen seiner Gefangenschaft in den schwärzesten Farben schildern, lautstark seine Bestrafung mit dem Tode verlangen. Wollte er leben, hatte er keine Wahl.
Und gab es nicht Hoffnung? Hatte der Erzbischof nicht von den Steinen gesprochen, die noch auf dem Brett waren … den Herzögen von Bayern und Lothringen, dem König der Westfranken? Hatte er ihm nicht in Aussicht gestellt, noch einmal ins Spiel zu kommen – vorausgesetzt, er überlebte seine jetzige Notlage? War das vielleicht der versteckte Hinweis, dass man sich heimlich bereits auf ihn als Nachfolger Ottos geeinigt hatte? Was bedeuteten schon die Ansprüche dieses Jüngelchens, dieses Muttersöhnchens, wenn Otto erst einmal beseitigt war! Man würde ihm Sachsen überlassen, im Reich aber mit der Sachsenherrschaft ein Ende machen. Wenn er sich widersetzte, würde ihn das Schicksal seiner Brüder ereilen. Bis es jedoch so weit war, musste man diesen Heinrich benutzen … musste man ihm sogar willfahren, wenn es auch unendlich schwer fiel …
„Nun, habt Ihr Euch entschieden, Herzog? Die zweite Bedingung …“
„Ich nehme an.“
„So ist es recht. Auch alte Gäule können noch nützlich sein. Spannt Euch ein zweites Mal vor den Karren und diesmal – das verspreche ich Euch – werdet Ihr sicher ans Ziel kommen!“
|167| Heinrich hatte sich Eberhard wieder zugewandt und klopfte ihm lachend und aufmunternd auf die Schulter. Doch als hätte er die Gedanken des Herzogs erraten, hob er die Hand im nächsten Augenblick zu einer drohenden Geste und fuhr fort:
„Aber versucht nicht, mich hereinzulegen! Einen Schwur braucht Ihr mir nicht zu leisten, der hätte ja keinen Wert. Ihr habt Odda den Treueid gebrochen und Tammo am Ende verraten. Ihr seid feige und falsch und würdet auch mir jederzeit in den Rücken fallen. Doch Vorsicht! Solange Odda die Macht hat, habe ich, sein geliebter Bruder, ebenfalls Macht – über Euch. Wenn ich Euch auch jetzt als Fürsprech diene, so kann ich doch später sagen, dass ich dazu von Euch genötigt wurde – meinem Entführer, meinem Peiniger. Weil Ihr mich sonst noch weiter verschleppt oder sogar umgebracht hättet. Hütet Euch also!“
„Ihr werdet mich an Eurer Seite finden“, sagte der Herzog mit rauer Stimme, wobei er unter größter Selbstverleugnung seinen Widerwillen bezwang. „Ich werde alles tun, damit Ihr die Krone erringt. Ihr könnt mir trauen. Ich sehe wie manch anderer in Euch das verjüngte Ebenbild Eures Vaters, dem ich vor zwanzig Jahren Krone und Zepter übergab. Ich wünsche, dass Ihr so weise regiert wie er und dass zwischen
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