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Abgründe (German Edition)

Abgründe (German Edition)

Titel: Abgründe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine d’Arachart
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schnell wieder loswerden und die Verantwortung abschieben. Ethan dachte lieber nicht darüber nach, ob etwas Wahres daran war. Er liebte Haley, schließlich war er sein Sohn, doch als dieser mit fünfzehn zu ihm zog, war er ein fremdes Kind gewesen.
    »Es ist jemand umgekommen«, erklärte Haley gerade. »Es war Mord und… Sie kennen ja meinen Dad.« Es bereitete ihm sichtlich Spaß, Evangeline die Geschichte des in der Dusche totgeschlagenen Studenten zu berichten. An dem schaurigen Unterton in seiner Stimme erkannte Ethan, dass Haley sich der Ernsthaftigkeit des Geschehnisses nicht im Geringsten bewusst war.
    »Mord?« Evangeline sah überrascht auf. »Davon habe ich damals gar nichts gehört.«
    Ethan ließ die Gabel sinken. »Das College hat die Geschichte heruntergespielt, um seinen guten Ruf nicht zu verlieren. Die Polizei hat ebenfalls dicht gehalten, vermutlich war eine Menge Geld im Spiel. Mir war das alles zu unsicher. Und da Haley von Anfang an sowieso lieber in Virginia bleiben wollte, habe ich ihn hierher zurück geholt.«
    »Wieso hast du ihn erst nach Gambier geschickt, wenn es ihm hier besser gefällt?«
    Ethan sah ein leichtes Grinsen über das Gesicht seines Sohns huschen. Eins zu Null für Haley.
    »Das Kenyon ist ein gutes College für angehende Schriftsteller. E.L. Doctorow war auf dem Kenyon.«
    »Du schreibst?« Evangeline sah Haley überrascht an.
    Haley bejahte und ging dann auf ihr Bitten hin nach oben, um eine seiner Geschichten zu holen.
    »Er ist nett.« Evangeline lächelte.
    »Nett, talentiert und wortgewandt. Kaum zu glauben, dass er mein Sohn ist, was?«
    »Du hast ihm dein Aussehen vererbt. Ich könnte mir vorstellen, dass er ganz froh darüber ist.« Sie grinste und nahm einen Schluck von dem Rotwein, den sie mitgebracht hatte.
    Ethan verzeichnete diesen Abend als ersten Erfolg. Sie hatte noch keine einzige bissige Bemerkung fallen lassen und mochte seinen Sohn. Und Haley schien sich auch mit ihr anzufreunden.

-38-
     
    Als Ethan am nächsten Morgen aufwachte, hing ihm der Abend mit Evangeline, oder Evey, wie sie von Freunden genannt wurde, noch in den Knochen. Sein Kopf dröhnte von zu viel Wein und in seinem Bauch hatte sich über Nacht ein Gefühl breit gemacht, dessen Existenz er beinahe vollkommen vergessen hatte. Je näher er Evey kennen lernte, desto mehr mochte er sie und umso größer wurde sein Ehrgeiz, diese Frau nicht wieder gehen zu lassen.
    Mit den Gedanken noch bei ihrem gemeinsamen Abend ging Ethan ans Fenster und öffnete es. Draußen war es bereits warm und sonnig und er hatte das Gefühl, dass sie heute einen Durchbruch würden erzielen könnten. Vielleicht würden sie endlich den entscheidenden Hinweis erhalten oder die Bestie würde endlich einen Fehler machen.
    Dann schellte das Telefon und holte ihn jäh in die Realität zurück. Schlagartig wusste er, dass etwas nicht stimmte. Es war wie eine Eingebung. Das Klingeln klang nicht anders als sonst, es zuckten keine Blitze vom Himmel, die Erde bebte nicht, aber trotzdem spürte er es ganz deutlich. Verwirrt eilte er zum Apparat, der an der Wand in der Küche hing und nahm den Hörer ab.
    »Detective Hayes? Hier ist Bobby Jackson vom Psychiatrischen Zentrum.«
    »Was ist mit ihr?!« Ethan erschrak über den panischen Klang seiner Stimme. Er wusste es. Er wusste es, bevor Jackson es aussprach.
    »Miss Madison West hat sich in der vorletzten Nacht mit ihrem Bettlaken erhängt. Es tut mir Leid.«
    Die Worte hallten in seinem Kopf wider wie ein grausames Echo. Madison war tot. Von einer Sekunde auf die andere fühlte er sich schuldiger denn je. Er hätte ihre Ängste ernster nehmen sollen. Er hätte irgendetwas für sie tun müssen. Stets hatte er sich bemüht, Madisons Leben wieder auf einen guten Weg zu bringen und Birch nicht die Genugtuung zu lassen, sie vollends zerstört zu haben. Aber jetzt, nach zehn Jahren, sollte er es doch noch geschafft haben. Sie hatte keinen anderen Ausweg mehr gesehen, als sich das Leben zu nehmen.

-39-
     
    Keeley Piper stand in der prallen Sonne vor der King's Grant Elementary School und wartete auf ihre Tochter Ivy. Die Lynnhaven Road war um diese Zeit überfüllt von den Autos wartender, besorgter Eltern. Alle hatten Angst vor dem Mörder, der sein Unwesen in der Stadt trieb. Niemand wollte sein Kind mehr nach Hause laufen oder den Schulbus nehmen lassen. Keeley hatte sich, wie so oft in den letzten Tagen, früher frei genommen. Glücklicherweise hatte ihre Chefin selbst eine

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