Abschied von Chautauqua
Justin zu jammern anfangen konnte, sie könnten vorm Haus in den Pfützen herumspringen.
«Aber dann müsst ihr die Sachen anziehen, die ihr gestern angehabt habt. Ich wasche nämlich nicht noch mehr Wäsche.»
«Mo-om», quengelte Justin.
«Können wir gehen?», fragte Ella liebenswürdig, und schon waren sie zur Tür hinaus und in der kühlen, dunstigen Luft, die nach dem See roch. Rufus stieß mit der Nase die Fliegentür auf, die Steinstufe der Veranda war kieselig und glatt und das Gras nass, sodass sie an den Zehen froren. Sie rannten durch den Garten, ließen die anderen hinter sich und lachten darüber, wie einfach alles gewesen war.
«Du warst spitze», sagte Sarah. Ella lächelte, verdrehte die Augen, als wäre es gar nichts gewesen, und ließ ihren Regenschirm herumwirbeln.
Auf der Straße lagen überall Zweige, grüne Samenkapseln und Würmer, denen sie ausweichen mussten. Irgendwo brannte ein Kaminfeuer, bei dessen Geruch Sarah Hunger auf Suppe bekam. Im Wald wiegte der Wind die Äste. In den meisten Sommerhäusern war alles dunkel. Wassertropfen hingen wie Eis an den Stromleitungen. Der See war meergrün, die Boote waren abgedeckt, auf den hohen Pfählen der Stege standen aufgeplusterte Möwen, die alle in dieselbe Richtung blickten. Sie und Ella platschten mit den Fußsohlen in den flachen Pfützen herum und sahen sich an, trocken unter ihren Schirmen, glücklich aus dem Haus entkommen, frei.
Rufus wollte überall hinpinkeln. Er zerrte Sarah zu jedem Baum, Reflektor oder niedrigen Zaun und markierte seine Stellen. Er war schon so alt, dass er nicht mehr das Bein hob, sondern sich bloß hinhockte und ein dünnes Rinnsal herausquetschte. Als sie zu der Abkürzung gelangten, waren es bloß noch Tropfen, aber er probierte es weiter.
«Ich glaube, ihm geht die Flüssigkeit aus», sagte Ella.
«Hoffen wir's», erwiderte Sarah, doch am Briefkasten der Loudermilks war es wieder so viel, dass es schäumte.
«Das ist so eklig.» Ella wandte das Gesicht ab.
«Ach, als ob du nie pinkeln würdest.»
«Jedenfalls nicht draußen.»
Wieder sahen sie sich im selben Augenblick an, dachten dasselbe und lachten.
«Kannst du dir das vorstellen?», fragte Ella.
«Jungs machen das ständig und flippen deswegen auch nicht aus.»
«Das sind eben Jungs.»
Sarah sah unwillkürlich vor sich, wie er am Rand eines gemähten Feldes stand und den Reißverschluss seiner ausgeblichenen Jeans öffnete, seine langen Arme braun gebrannt - doch dann hielt sie inne, da sie sich das Ganze nicht weiter ausmalen wollte.
«Schnell, erzähl mir was anderes.»
«Sie waschen sich auch nicht die Hände.»
«Danke», sagte Sarah, «ich hab selbst einen Bruder.»
Sie nahmen die Abkürzung an dem Haus mit dem bis zum Boden reichenden Dach und der Glasfront vorbei - niemand zu Hause, die Möbel warteten auf die Besitzer -, und Sarah stellte sich vor, dass sie ihn dort treffen könnte, dass sie sich ins Haus schleichen und auf dem Sofa rumknutschen könnten, wie sie und Mark es im Poolhäuschen der Krämers taten, die Haare nach dem Abtrocknen noch feucht, die beißende Nässe des Chlors ein Teil ihrer Erregung. Sie musste Mark bei ihrem Top helfen und wünschte dann, sie hätte es nicht getan. Sie stellte Regeln auf, die sie ihn brechen ließ - wie das eine Mal auf dem Liegesofa, als seine Mutter sie fast ertappt hätte -, und hinterher war sie wütend auf sich.
Das hier würde anders sein, romantischer. Sie sah vor sich, wie sie in dem Haus bei Kerzenschein aßen, hinter sich ein Kaminfeuer, klassische Musik.
«Wir hätten seinen Ball mitnehmen sollen», sagte Ella, und Rufus blickte hoffnungsvoll auf, als könnte sie einen dabeihaben.
«Wir sollen ihn nicht ermüden.»
«Er ist nicht müde, guck ihn dir doch an.»
Sie bogen auf die Straße zum Jachthafen, der Himmel weitete sich, auf einer Seite die Fischteiche, die Bäume in der Ferne vom Regen in einen Dunstschleier gehüllt. Weit vorn brauste ein Auto auf dem Highway vorbei, das Pfeifen der Reifen kaum hörbar, wie ein Düsenflugzeug, das hoch über den Wolken flog. Die Straße war rissig, sie gingen im verfilzten Gras und durchnässten ihre Hosenaufschläge. Rufus bahnte ihnen schnuppernd den Weg, seine Schnauze gesprenkelt mit den Samen des Timotheusgrases.
In dem Poncho war es heiß, und Sarah ging langsamer, da sie sich Sorgen um ihr Haar machte. Der Poncho war
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