Acacia 01 - Macht und Verrat
und fügte deren Relikte denen hinzu, die bereits vorhanden waren. Er pflanzte Meinisches auf Acacisches und schien bereit, bestimmte Äußerlichkeiten des besiegten Reiches zu übernehmen. Anstatt das acacische Verwaltungssystem und das Handelsgeflecht zu zerschlagen, machte er sich beides zunutze.
Nichts von alledem vermochte Leekas Hass abzukühlen, doch schließlich konnte er nicht mehr kämpfen. All seine Verbündeten waren umgekommen, hatten die Waffen gestreckt oder sich in irgendwelche Verstecke davongeschlichen. Sein Feind hatte die Eroberung abgeschlossen und machte sich nun an den Wiederaufbau und die Sicherung des erworbenen Reichtums. Hätte Leeka irgendwann mit Sicherheit gewusst, was aus seinem Leben werden würde, hätte er sich sein Schwert in den Bauch gerammt. Doch er wusste es nicht. Ein Tag ging kaum merklich in den nächsten über, sodass ihm seine Niederlage erst ganz allmählich bewusst wurde.
Er wanderte durch das Reich. Nach und nach verlor er die Insignien seines Amtes oder gab sie von sich aus auf: Die Weste tauschte er gegen Nahrung, den Dolch gegen Wein, der Helm verschwand an einem Abend, an den er sich nur verschwommen erinnern konnte, der Rucksack wurde ihm von einem Halbwüchsigen gestohlen, der viel schneller war als er. Schon bald sah er aus wie jeder andere kriegsmüde Veteran. Er war verwahrlost, orientierungslos, vielleicht geistig verwirrt und offenkundig keine Bedrohung für die Mein-Soldaten, die jetzt den größten Teil der Bekannten Welt kontrollierten. Getrunken hatte er schon immer gern. Nach dem Krieg machte ihm das Trinken zwar keine Freude mehr – die Trunkenheit ging nicht mehr mit der früheren Fröhlichkeit einher -, doch er stürzte den Wein dennoch hinunter wie Wasser. Es hätte ihm nichts ausgemacht, an der Trunksucht zu krepieren. Ironischerweise rettete ihm eine andere Sucht das Leben.
Nebel gab es im Reich der Mein reichlicher denn je. Er war überall, so selbstverständlich wie Brot oder Wasser, billiger als candovischer Wein. Eines Abends, als es nichts anderes gab, rauchte er eine Pfeife. Welch eine Offenbarung! Auf einmal sah er seinen Irrtum ein. Er war nicht gescheitert. Der Krieg war nicht vorbei. Nein, in Wahrheit war er ein einsamer Verkünder blutiger Vergeltung. Er hatte in der Vergangenheit Numrek getötet und würde es wieder tun. Er lehnte sich zurück und sah die Bilder direkt über sich, auf den Schirm des Nachthimmels geworfen. Mit einem Schwert in jeder Hand schritt er durch Aushenia. Seit langer Zeit hatte die Welt keinen wie ihn mehr gesehen. Irgendwann war die Vision keine Einbildung mehr. Er lebte darin. Er spürte Boden unter den Füßen und Luft, die durch seine Lunge pumpte. Er wanderte Tausende von Meilen weit, bis sein Gesicht rot war und von Numrekblut triefte, seine Fäuste so fest mit den Schwertern verschweißt, dass der Stahl zu einer Verlängerung seines Körpers wurde. Was für Schaden er anrichtete! Was für ein heiliges Strafgericht er übte …
Am ersten Morgen erwachte er aus solchen Träumen und fand sich voller Pein in seinem schwachen Körper wieder, alles andere als ein Held. Er hätte die Droge verfluchen und fortan verschmähen können, doch er spürte noch immer den leisen, nachhallenden Puls des Nebels, mit dem Versprechen einer Möglichkeit, dass in der Vision Wahrheit liegen könnte. Der Nebeltraum war so ungemein wirklich. Jede Einzelheit war vorhanden, so lebendig wie das Leben selbst. Nein, er war greifbarer und wirklicher als das Leben, das er jetzt führte.
Es war verboten, die Droge am Tag zu sich zu nehmen, während der Arbeitsstunden. Wurde man im Nebelrausch von einem Soldaten der Mein aufgegriffen, konnte man eingesperrt und einem die Droge abgenommen werden – eine Strafe, die alle Süchtigen fürchteten. Bald hatte Leeka sich sein Leben eingerichtet – tagsüber versorgte er betrunken das Vieh, um sich die paar Münzen zu verdienen, die er benötigte, um sich nachts mit dem Nebel berauschen zu können. Darin unterschied er sich nicht von Millionen anderen Menschen der Bekannten Welt. Er hätte nicht sagen können, wann genau er sich der Droge wahrhaftig ergab. Der Nebel verlangte vollkommene Hingabe; Leeka, der an keinen anderen Gott mehr glaubte, lernte, an einem neuen Altar zu huldigen.
Darüber sann er nach, als er sich dem dunklen Verschlag näherte, in dem er die Nächte verbrachte. Zuvor hatte er das Päckchen mit den Nebelfäden aus der Brusttasche geholt und streichelte die Fasern im
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