Achsenbruch
presste die Lippen aufeinander.
»Schon gut!«, besänftigte Lohkamp sie. »Aber ernsthaft: Haben Sie eine Vermutung, wer es auf das Leben der OB abgesehen haben könnte?«
Sie schüttelte den Kopf: »Ich denke schon seit gestern darüber nach. Sicher – sie hat manchen Leuten auf die Füße treten müssen. Und wenn sie etwas entscheiden muss, gibt es immer jemanden, der sauer ist. Aber eine Bombe …«
Unvermittelt wurde die Tür zum Dienstzimmer der Oberbürgermeisterin aufgezogen und auf der Schwelle erschien Lina Tenberge, jene elegante Blondine, die sich am Tag zuvor um Sonnenschein gekümmert hatte. »Ach, Sie sind es. Was gibt es denn?«
Wieso hat keiner das Büro versiegelt?, dachte Lohkamp. Das müssen wir doch auch noch filzen!
»Was suchen Sie denn in Sonnenscheins Büro?«
Scheinbar automatisch drückte sie das Kreuz durch und sah auf ihn hinab: »Irgendjemand muss ja die Amtsgeschäfte fortführen. Und ich bin schließlich die Erste Bürgermeisterin!«
Zwischen den Augenbrauen der Sekretärin bildete sich eine Falte. Selbst Lohkamp wusste, dass es bei Sonnenscheins Vertreterinnen absichtlich keine ausgewiesene Rangfolge gab – eine der Streicheleinheiten für die kleineren Rathausparteien, die nicht den Makel trugen, links zu sein.
Tenberge schien Lohkamps Gedankengänge zu ahnen und lächelte: »Immerhin vertrete ich die stärkste Fraktion des Hauses.«
»Unbestreitbar. Aber nach der Ortssatzung wird die OB nicht von Ihnen, sondern vom Ersten Beigeordneten vertreten – dem Stadtdirektor.«
Tenberge sah aus, als wollte sie gleich ihre Krallen ausfahren: »Der kümmert sich um den Verwaltungskram. Aber von Politik hat er keine Ahnung.«
Lohkamp bezweifelte das – zumindest wusste der Mann, welches Parteibuch er für diesen Posten brauchte.
»Wie auch immer, gnädige Frau. Dieses Büro ist nur aus Versehen nicht versiegelt worden. Was haben Sie darin verändert?«
»Wollen Sie mir Vorschriften machen?«
»Ich kann auch sofort den Adler draufkleben. Dann kommen Sie nicht mal mehr an Ihr Schminktäschchen.«
»Haben Sie überhaupt einen Durchsuchungsbefehl?«
»Nein. Erstens heißt das seit dreißig Jahren Anordnung und zweitens kann ich mich auf dringend gebotene Eile zur Sicherung von Beweismitteln berufen. Oder wollen Sie unsere Ermittlungen behindern?«
»Selbstverständlich nicht!«, sagte Tenberge und schien einen Moment lang ihre Chancen abzuwägen. Schließlich lächelte sie: »Ich kann die Frau Oberbürgermeisterin auch von meinem Büro aus vertreten. Es ist nur lästig, dass ich Frau Ehlers wegen jeder Frage anrufen muss.«
Na schön, dachte Lohkamp. Geordneter Rückzug. Glaube bloß nicht, dass mich dein Katzenlächeln täuschen kann.
»Darf ich wenigstens meine Sachen aus dem Büro holen?«
Lohkamp nickte und folgte ihr in Sonnenscheins Reich. Teppichboden, großer, aber schlicht gehaltener Schreibtisch, funktionale Möbel – Sonnenschein schien nicht auf Protz und Prunk zu stehen. Die gerahmten Reptilienbilder an den Wänden wirkten im Vergleich zur restlichen Ausstattung beinahe kostbar.
»Noch mal zurück zu meiner Frage: Haben Sie etwas verändert?«
Tenberge verneinte.
»Irgendwelche Akten gesichtet oder umsortiert?«
Erneutes Kopfschütteln.
»Den Schreibtisch untersucht?«
»Nein, Herrgottnochmal! Ich habe mir lediglich den Terminkalender angesehen und ihre Dienstmails gecheckt. Ach ja – ihre Kaffeetasse habe ich auch benutzt. Außerdem den Kugelschreiber und den Notizblock.«
Sie packte ihr Aktenköfferchen und schulterte eine lederne Handtasche: »Kann ich gehen?«
»Ich möchte Sie aber trotzdem bitten, mir und Frau Ehlers einen Blick in die Taschen zu gestatten.«
»Wieso Frau Ehlers?«
Er lächelte sie an: »Frau Tenberge, wie soll ich beurteilen, was hier ins Büro gehört und was nicht?«
»Muss ich?«
»Aber nein. Es ist nur eine Bitte. Und ich fände es außerordentlich kooperativ, wenn Sie …«
Mit einem Gesichtsausdruck, der gnädige Herablassung verriet, ließ die Blonde die Prozedur über sich ergehen. Schon wollte Lohkamp sie durchwinken, da entdeckte er auf dem Boden der Handtasche einen Speicherstick und zog ihn heraus: »Was ist da drauf?«
»Nichts.«
Tenberges Lächeln war unverändert geblieben, die Augen hatten nicht gezuckt, aber ihre Stimme hatte vorher sicherer geklungen.
»Dann haben Sie doch sicher nichts dagegen …«
»Doch, habe ich!«
Lohkamp seufzte: »Frau Tenberge, dann müssen wir es so handhaben: Wir packen
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