Achsenbruch
man auch ohne Telefon bis Bochum gehört.
»Ich liebe dich!«, versicherte er und drückte das Gespräch weg. Ich muss die Sphinx mit Samthandschuhen anfassen, nahm er sich vor. Das große Fass mache ich morgen oder übermorgen auf …
Die Staatsanwältin hing gerade am Telefon und legte ihren schlanken Zeigefinger an den Mund, als der Hauptkommissar auf sie zukam. Das blasse Rot des Nagellacks und des Lippenstifts passten exakt zusammen.
»Einverstanden. Ab sechs. Ich bin da!«, sagte sie und legte auf.
Das wäre ein Dingen, dachte Lohkamp, wenn die um sechs auch ein Treffen im Drübbelken hat. Aber welcher Ruhrpötter schaffte sich schon solch eine arrogante Ziege an?
»Was gibt’s, Herr Lohkamp?«
»Äh, sind Sie fündig geworden?«
Für die Ahnungslosigkeit auf ihrem Gesicht hätte sie einen Vertrag in Hollywood verdient gehabt.
»Bei Beißner.«
»Ach ja«, sagte sie in einem Ton, als sprächen sie über eine harmlose Aktion, die sie beide einvernehmlich geplant hätten. »Wir müssen das Zeug noch auswerten. Kann ein paar Tage dauern. Noch was?«
Ihre Augen richteten sich kurz auf die Wanduhr über der Tür: Thema erledigt, keine Zeit. Und Lohkamp kam zu dem Schluss, dass es der falsche Moment für den Beginn einer Debatte war. Außerdem wollte er ja etwas von ihr.
»Hier drin«, sagte er und überreichte ihr den versiegelten Briefumschlag, »ist ein Speicherstick aus dem Handtäschchen der Bürgermeisterin Tenberge.«
Er berichtete kurz von dem Besuch im Rathaus und bat Dorn um eine Anordnung zur Kontrolle des Datenspeichers. »Außerdem müssten wir das Büro durchsuchen. Soll ich Sonnenschein um Erlaubnis bitten? Dann sparen wir …«
»Machen Sie das«, sagte Dorn. »Und das Versiegeln war in Ordnung. Hoffentlich bricht in der Zwischenzeit Bochums Verwaltung nicht zusammen.«
Richtig witzige Truppe diesmal, dachte Lohkamp. Die sind ganz anders gebrieft als die Haudegen vor zehn Jahren. Aalglatt. Nehmen statt des Schwertes das Florett und stechen von hinten zu.
»Und was ist mit dem Stick?«
»Ich denke drüber nach!«, versprach Dorn. »Morgen früh entscheide ich.«
Weg war sie und ließ Lohkamp in einem Wölkchen dezenten Parfüms zurück. Irgendjemand, dachte der Polizist, hat vergessen, ihr als Blag mal ordentlich den Arsch zu versohlen.
23
»Was schleppst du denn alles mit?«, fragte Kalle, der Simone um sechs Uhr abends in Wattenscheid abholte. Lächelnd packte sie einen schweren Rucksack in seinen Kofferraum. Das verschlissene Gepäckstück war mit etlichen Buttons und einem großen Sex-Pistols- Aufnäher verziert.
»Natürlich nur das Allernötigste«, erklärte sie. »Eine Taschenlampe, falls es spät wird, einen Fotoapparat, ein Fläschchen Wasser, Koffeintabletten. Und dann natürlich ein wenig Handwerkszeug. Frau denkt schließlich an alle Eventualitäten.«
Er schüttelte den Kopf und klemmte sich hinter das Lenkrad: »Mit diesem Rucksack fallen wir total auf. Wir sollten warten, bis es dunkel wird.«
»Unsinn«, sagte Simone, die Kalle dazu überredet hatte, zwei Stunden früher als geplant zu starten. »Gerade im Hellen interessiert sich keiner für das, was wir treiben. In meiner Zeit als Punk haben wir mal alle Türen im Bochumer Hauptbahnhof mit Plakaten bepflastert. Am helllichten Tag sind wir im Blaumann mit Leiter, Kleistertopf und Plakaten angerückt, ohne irgendetwas zu verstecken. Jeder hat geglaubt, dass wir einen offiziellen Auftrag hätten. Geile Aktion. Gib Gas!«
Zwanzig Minuten später hatten sie den Hattinger Marktplatz erreicht und stellten den Wagen nahe dem Rathaus ab. Simone wuchtete den Rucksack über ihre Schultern, hakte sich bei Kalle unter und zog ihn in Richtung Viktoriastraße. Er war noch immer nicht vom Gelingen des Plans überzeugt und hätte am liebsten ein weiteres Stündchen Wartezeit herausgeschunden – auch, um noch ein wenig mit Simone reden zu können. Acht Jahre waren eine lange Zeit. Doch es tat auf jeden Fall gut, sie wieder neben sich zu spüren. Ein kleines wissendes Lächeln lag auf ihren ungeschminkten Lippen.
Direkt vor der Haustür hielt das Pärchen an und Kalle checkte die Reihe der in Richtung Augustastraße geparkten Wagen. Dann nahm er Simone in die Arme und drückte ihr einen warmen, feuchten Kuss auf den Hals. Dabei schlinzte er über Schulter und Rucksack hinweg die Straße hinauf. Aber es war niemand zu sehen, der ihm verdächtig vorkam.
Simone drückte ihn nun ihrerseits fest an sich und hauchte ihm ins Ohr:
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