Achsenbruch
»Wie in einem Agentenfilm. Aber die Tarnung als Liebespaar könnte noch überzeugender sein. Ich weiß nicht, warum mir das jetzt gerade einfällt – aber eigentlich schuldest du mir ja noch was.«
Während Kalles Ohren sich bei der Erinnerung, die sie damit weckte, leicht rosa färbten, kramte er mit der linken Hand in seinen ausgeblichenen Jeans, um den geklauten Schlüssel hervorzuziehen.
»Meine Schulden arbeite ich natürlich gerne ab«, grinste er. »Aber nicht auf offener Straße.«
Gleich der erste Schlüssel passte. Entschlossen öffnete Kalle die Haustür und ging einige Schritte voran.
»Halt!« Simone schloss schnell die Haustür hinter sich und setzte den Rucksack ab. Gezielt fingerte sie an dem Verschluss einer Seitentasche, aus der sie zwei Paar Operationshandschuhe angelte: »Anziehen! Wer weiß, wozu es gut ist.«
»Du bist ein Genie!«
Kalle streifte die hauchdünnen Plastikteile über und ging los. Auf den fünf Stufen bis zur Kanzlei mussten sie über den nackten, marmorierten Stein laufen, danach war die hölzerne Treppe mit robustem Sisal ausgelegt, der von quer eingeschraubten Messingstangen straff gehalten wurde und alle Geräusche dämpfte. Die Rahmen der an den Wänden hängenden Filmplakate waren diesen Befestigungen angepasst, aber die Filme selbst deutlich moderner: Auf zweien von ihnen prangte der blonde Haarknoten von Catherine Deneuve, danach folgten die Gesichter von Grace Kelly, Romy Schneider und Isabelle Huppert.
»Guck bloß! Beißner war ein Mann, der schöne Frauen liebte«, flüsterte Simone.
Kalle lächelte: »Dann habe ich ja etwas mit ihm gemeinsam.«
»Charmant, charmant«, gluckste sie und sah zu, wie er die beiden noch nicht benutzten Schlüssel ausprobierte. Der erste mit dem größten Griffstück passte nicht und Kalle hob ihn hoch: »Dann gehört der zur Kanzlei. Auf dem Rückweg hänge ich ihn unten wieder an seinen Haken.«
In Beißners Wohnung war es warm und stickig. Simone erschnupperte eine Prise Parfüm, viel zu süß für einen Mann. »Ekelhaft. Ein bisschen Sauerstoff könnte hier nicht schaden.«
Unschlüssig blieb Kalle stehen. Der Grundriss der Wohnung unterschied sich deutlich von dem der Kanzlei: Rechts über dem Sekretariat lag passgenau eine kleine Küche, dahinter aber lief ein großer Wohnraum quer von der Straße bis zur Rückseite des Hauses. Von ihm aus führte eine Tür nach links ins Schlafzimmer, dessen Fenster ebenfalls zum Hof hinausging – und genau eine Etage tiefer stand Beißners Schreibtisch.
»Kein Bad?«
»Déjà-vu!«, flüsterte Simone. »Denk an unser Abenteuer im alten Amtsgericht! Männer haben eben keinen Blick für Länge und Tiefe.«
Kalle sah sie, noch immer begriffsstutzig, an.
»Das Bad liegt zwischen Korridor und Schlafzimmer. Du hast die Tür neben der Garderobe nicht beachtet. Hätte im Bad ein feindlicher Spion auf uns gewartet, wären wir schon auf dem Weg in die Hölle«, spöttelte Simone. »Aber lass uns keine Zeit vertrödeln. Du nimmst dir das Schlafzimmer vor und ich schau mal, ob ich hier im Wohnzimmer etwas Brauchbares finde.«
»Schrei nicht so.«
»Memme. Wer soll uns hier hören, wenn die Leute oben im Urlaub sind?«
»Du hast gut reden. Immerhin war ich es, der damals eine Nacht im Knast gesessen hat«, maulte Kalle, verzog sich aber pflichtgemäß in Beißners Schlafzimmer und sah sich um. Mittelpunkt des Raums bildete ein großes französisches Bett gegenüber der Tür. Die Wand dahinter war mit einer Fototapete beklebt, die eine karibische Strandlandschaft darstellte. Links nahm der unvermeidliche Kleiderschrank fast die gesamte Wand gegenüber dem Fenster ein, aber gleich hinter der Tür blieb Platz genug für einen Durchgang zum Bad frei.
Vorsichtig öffnete Kalle die Tür. Weiße Fliesen, eine Badewanne, die locker zwei Personen aufnehmen konnte, Armaturen vom Feinsten – und tatsächlich eine zweite Tür, die zum Korridor führte. Wie hatte er sie nur übersehen können?
Tief durchatmend schloss er beide Türen hinter sich und schaute zum Fenster hinüber. Dichte Gardinen, dazu ein schwerer blickdichter Vorhang, der halb geöffnet war, und neben dem Fenster ein Flachbildschirm.
Nach einem flüchtigen Blick auf das Nachtschränkchen zog Kalle die erste Tür des Kleiderschranks auf. Vier Fächer mit Handtüchern, Bett- und Unterwäsche. Der Reihe nach hob er alles hoch und suchte auch hinter den Stoffstapeln nach einem Geheimnis. Ganz schön pervers, in fremder Unterwäsche
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