Achsenbruch
herumzuwühlen, dachte Kalle.
Simone staunte, als sie sich im Wohnzimmer umsah. Der Typ hatte richtig Kohle, dachte sie. Im hinteren Teil verwahrte ein schwarz lackiertes Bücherregal aus verschnörkeltem Holz Beißners private Lektüre, daneben stand ein kleiner Schreibtisch im Biedermeierstil mit abgeschrägter Auflage. Direkt gegenüber ruhte ein altmodischer Wohnzimmerschrank aus schwarzer Eiche; hinter den leicht getönten Glastüren schimmerte eine Galerie Gläser und Flaschen. Die junge Frau trat näher und musste unwillkürlich mit der Zunge schnalzen: Solch edle Whiskysorten konnte sie sich nicht leisten.
Noch immer unschlüssig, wanderte ihr Blick zurück in den zur Straße gelegenen Bereich des Raumes. Ein wuchtiges Couch- und Sesselensemble aus Leder im englischen Kolonialstil, gegenüber ein Breitwandfernseher, flankiert von zwei hohen Lautsprecherboxen und einer Stereoanlage, deren Komponenten allesamt Schilder mit den Namen von Luxusmarken trugen. Für eine Zweitwohnung, die nur als Fluchtburg dienen sollte, waren die Gemächer zu üppig und kostbar ausgestattet.
Noch etwas war seltsam. Zwischen den Sesseln und der Couch glänzte ein abgerundeter Tisch mit einem unbenutzten Aschenbecher und einer dekorativ gefüllten Obstschale aus schwerem Rauchglas. Erst als Simone einen der Äpfel berührte, stellte sie fest, dass er aus Plastik bestand. Auf Obst und Glas war auch im Widerschein der Abendsonne kein Stäubchen zu entdecken.
Dann glitt ihr Blick über die Sitzflächen der tiefen Sessel.
»Heureka!«, flüsterte sie. Auf einem der Sitzmöbel leuchtete die Hülle eines schicken Notebooks, das so aussah, als wäre es nur kurz dort abgelegt worden.
Mit drei Schritten hatte sie die Couch erreicht und holte ihr Equipment aus dem Rucksack. Dann klappte sie das flache Lenovo-Gerät auf und fuhr es hoch.
Fein, dachte sie, XY-Installation. Das wird ein Kinderspiel. Die Log-in-Maske erschien und der Administrator-Account forderte mit blinkendem Cursor ein Passwort.
Mal sehen. Sie probierte es einmal, ohne überhaupt etwas einzutippen. Es gab genug Volltrottel, die meinten, ohne Passwort auszukommen. Nichts. Also versuchte sie es mit Irmhild , Sonnenschein und Administrator . Wieder nichts. Ganz beliebt war auch die Buchstabenfolge qwertz aus der zweiten Reihe der Tastatur. Immer noch Fehlanzeige.
»Okay«, murmelte sie. So schnell gab eine Anhängerin des Chaos-Computer-Clubs nicht auf. Routiniert schloss sie eine 2,5-Zoll-Festplatte per Firewire-Kabel ans Notebook und legte eine CD in das Fach. Ein Reboot, die Taste F1 gedrückt, und schon war sie im BIOS und stellte die Bootreihenfolge auf Start von CD um.
»Geht doch!«, triumphierte sie, als die Software ein Eins-zu-eins-Abbild der beiden Partitionen auf die Festplatte kopierte. Der Fortschrittsbalken zeigte vierzig Minuten Restzeit – lange genug, um Kalle zu helfen, den Rest der Wohnung zu durchstöbern. Sie steckte den Kopf durch die Schlafzimmertür: »Was gefunden?«
»Nichts Nützliches. Aber der Typ war offensichtlich ein Lustmolch!« Kalle deutete auf den enormen Spiegel an der Decke über dem Bett. »Und dann noch die verspiegelten Schranktüren, der breite Fernseher und die Porno-DVDs. Hier war wohl zeitweilig richtig was los!«
»Neid?«
Er bewegte seinen Kopf in Richtung Kleiderschrank. »Der Typ hatte genug Wäsche, um einen Vier-Personen-Haushalt glücklich zu machen. Und mehr Anzüge, als ich T-Shirts besitze. Braucht man das? Aber guck mal!«
Kalle zog ein schwarzes Stoffteil aus dem Schrank und warf es sich um die Schultern: »Unter den Talaren der Muff von …«
»Ich weiß, wie’s weitergeht. Aber mach voran! Ich kopiere übrigens gerade den kompletten Inhalt seines Laptops. Den kann ich dann zu Hause in Ruhe auseinandernehmen. Dauert noch ein knappes halbes Stündchen. Warst du im Bad?«
»Ja.«
»Alles gecheckt?«
»Also …«
»Typisch Mann!«
Sie verschwand in der Nasszelle und begutachtete die abgestellten Dosen, Tuben und Flacons. Fast ausschließlich Männerprodukte: Aftershave, Handcreme, Bodylotion, Duschgel, Badezusätze – auch hier alles vom Feinsten. Im Innern des Hängeschränkchens dann ein Lady-Shaver, der passende Rasierschaum und eine fast volle Schachtel Tampons. Das Fläschchen mit dem billigen, obszön riechenden Moschusparfüm wirkte in diesem Luxusbad wie ein Schandfleck.
»Was gefunden?«, fragte Kalle.
»Wie man’s nimmt. Auf jeden Fall hatte er ab und zu Damenbesuch – aber wohl kaum
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