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Achsenbruch

Achsenbruch

Titel: Achsenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Junge
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flüsterte er, »gleich ist alles vorbei! Siehste, so geht’s doch!«
    Simone wartete und schaute sich immer wieder um. So allein in dem dämmrigen Treppenhaus kam sie sich plötzlich verloren vor. Ängstlich war sie sicher nicht, aber vielleicht war es die Vorsicht, die sie in den kleinen Korridor der Kanzlei drängte. Nur die Türen waren als helle Rechtecke zu erkennen.
    Während Kalle den Schlüssel an seinen Platz zurückhängte, ging sie zwei Schritte weiter und spähte in Beißners Büro, das die Leute von der Bundesanwaltschaft durchsucht hatten. Die Unordnung, von der Kalle berichtet hatte, hatte sie sich schlimmer vorgestellt. Oder die gewissenhafte Sekretärin hatte den ganzen Nachmittag richtig geschuftet.
    »Komm«, wisperte Kalle. »Wird Zeit!«
    Er zog Simone ins Treppenhaus und wollte gerade die Kanzleitür hinter sich ins Schloss ziehen, als vor dem Haus ein Fahrzeug hielt. Hinter den Milchglasscheiben der Haustür flackerte blaues Licht.
    »Scheiße, Bullen!«
    Kalle spürte, wie seine Knie weich wurden. Draußen klapperten die Absätze von Damenschuhen über das Pflaster heran, dann wurde an der Haustür ein Schlüssel gedreht. Bevor sie aufgestoßen wurde, rief eine aufgeregte Frauenstimme: »Sehen Sie! Nicht abgeschlossen! Und ich habe das bestimmt nicht vergessen!«
    Simone blieb das Herz stehen. Aber Kalles Lähmung wurde von einem Adrenalinschub abgelöst. Geistesgegenwärtig zog er Sim in die Kanzlei zurück und drückte die Tür ins Schloss: »Los! Ab in den Hof!«
    Während im Hausflur schwere Männerschuhe die ersten Stufen heraufpolterten, liefen die beiden Kundschafter durch den dunklen Büroraum nach hinten. Doch Kalle rüttelte vergeblich an der Terrassentür: »So ’ne Scheiße. Zu!«
    Hastig drehte er sich um und suchte nach einem Gegenstand, mit dem er die Scheibe einschlagen konnte.
    »Der Hebel, du Blindfisch!«, zischte Sim.
    Tatsächlich! Die Tür hatte noch einen dieser altmodischen Verschlüsse, mit denen man sie anheben und öffnen konnte. Es klappte. Frische Abendluft schlug ihnen entgegen, doch da hörten sie bereits Schelps Schrei aus dem Inneren der Kanzlei: »Hier war auch nicht abgeschlossen!«
    Nebeneinander stürzten Kalle und Sim die Treppe zum Hof hinunter Richtung Friedhofsmauer. Fast wären sie im Dämmerlicht gegen einen Campingtisch gerannt, aber im letzten Augenblick zog Kalle die junge Frau zur Seite. »Du zuerst, dann schmeiße ich den Rucksack rüber!«
    »Aber du …«
    »Klappe!« Schon lehnte er mit dem Rücken an der Mauer und faltete zum zweiten Mal an diesem Tag die Hände: »Ab! Mach!«
    Simone stemmte den rechten Fuß in die improvisierte Leiter. Zum Glück war sie deutlich leichter als sein Vater – und sportlicher. Mit ihren kräftigen Armen zog sie sich hoch und schwang sich über die Mauerkrone.
    »Aufpassen!«, schrie Kalle und schleuderte den Rucksack über die Mauer. Fang ihn, Mädchen, fang ihn und hau ab, durchzuckte es ihn. Und während das Gepäckstück noch in der Luft schwebte, hörte er energische Schritte durch Beißners Büro stampfen.
    Atemlos schob er den Campingtisch auf die Wand zu, aber es war zu spät. Der Lichtstrahl einer kräftigen Stablampe warf seinen Schatten auf den hellen Putz. »Keine Bewegung! Hände hoch, Polizei!«
    Au, Scheiße, dachte Simone, als sie diese Kommandos hörte. Armer Kalle!
    Tapfer rappelte sie sich auf, schlüpfte mit den Armen durch die Tragegurte des Rucksacks und rannte los. Nur weg hier, nur weg! Kalle konnte sie nicht mehr helfen, aber sie musste die Festplatte mit den Dateien retten! Sonst war alles umsonst. Doch wohin? Wo gab es einen Ausgang?
    Im letzten Tageslicht konnte sie gerade noch den schmalen Gang erkennen, der von der Friedhofsmauer hinter Beißners Haus wegführte. Und da – ein Querweg! Breiter als dieser hier! Vielleicht führte der ja nach draußen! Sie rannte nach rechts, auf die alte Turnhalle zu, an deren Außenmauern gerade die ersten Lampen aufflammten, um den Durchgang vom Rathaus zum Parkplatz zu beleuchten. Bingo – da war das Törchen!
    Keuchend drückte sie die Klinke nach unten und zog. Nichts. Na klar, dachte sie, Friedhöfe werden bei Einbruch der Dunkelheit abgeschlossen. Aber dieser Meter Draht und Stahlrohr stellte kein echtes Hindernis dar. Sekunden später stand sie auf der anderen Seite und spähte zurück. Doch zwischen den Grabsteinen und Koniferen bewegte sich nichts – niemand war ihr über den Gottesacker gefolgt.
    Durchatmen, drei Sekunden

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