Achsenbruch
im Kofferraum und sie setzten sich in den Wagen. »Erzähl!«
»Gibt nicht viel zu erzählen. Als wir fertig waren, kamen die Bullen. Zwei Minuten zu früh. Offenbar hatte die Sekretärin gemerkt, dass die Schlüssel fehlten.«
»Und?«
»Hör mal, mir ist schlecht vor Hunger. Ich muss dringend etwas essen. Aber nicht hier in Hattingen …«
»Verstehe.«
Er überlegte kurz, wo man gefahrlos absteigen konnte, und dabei fiel ihm eine seiner alten Studentenkneipen an der Bochumer Markstraße ein. Damals hatte es da bestenfalls kalte Frikadellen zum Bier gegeben, aber jetzt betrieben ein paar Jugoslawen dort eine Mischung aus Imbissbude und Restaurant.
Aufmerksam auf die Verkehrsschilder mit den schwarzen Zahlen im roten Kreis achtend, fuhr er die Bismarckstraße entlang und ließ den Skoda ins Ruhrtal rollen. Auf der linken Seite schälte sich eine der Sehenswürdigkeiten der Stadt aus der Dunkelheit heraus: Der letzte, längst stillgelegte Hochofen der Henrichshütte wurde angestrahlt, als würde dort immer noch Stahl gekocht. Kurz darauf passierten sie das alte Verwaltungsgebäude der Thyssen Stahl AG, die hier einige Tausend Arbeitsplätze liquidiert hatte.
»Die haben das Ding jetzt zur Festung ausgebaut«, erklärte Mager. »Oben das Sozialamt, unten die Bullen – alle hinter Stahltüren verschanzt.«
Simone drehte sich um und starrte mit brennenden Augen das schmucklose Hochhaus an, das im Heckfenster langsam kleiner wurde und schließlich ganz verschwand. Dort drehten sie wohl gerade den armen Kalle durch den Wolf. Vage Bilder von einer mittelalterlichen Folterkammer flackerten vor ihren Augen auf und sie schluchzte los.
Zehn Minuten später enterte Mager zum zweiten Mal an diesem Abend eine Kneipe. Diese hier war für ein anderes Publikum als das Drübbelken gemacht. Vorne im Biergarten stillten ein paar Amateurfußballer von Concordia nach dem Training ihren Durst, drinnen saßen einige Rentnerpaare, die ihre Gaumen mit Kohlrouladen oder Zigeunerschnitzel (»Aber bitte ganz ohne Knoblauch!«) verwöhnen wollten. In einer offenen Küche wirbelten zwei gut genährte Jungs an Töpfen und Bratblechen herum, während in einem kleinen Raum hinter ihnen bereits die Selbstabholer auf ihre Pommes und Currywürste warteten. Es roch nach Bier und Bratfett und ein riesiger Fernseher steigerte den ohnehin schon beachtlichen Lärm.
»Lass uns lieber draußen bleiben!«, bat Simone und Mager nickte. Drinnen erinnerte sowieso nichts mehr an die gemütliche Eckkneipe, in dessen Hinterzimmer er einst so manche Mark in den Flipper gesteckt hatte. Und rauchen durfte man dort auch nicht mehr.
»Also«, sagte Simone, nachdem sie ein großes Krefelder und die erste Hälfte ihres Schnitzels niedergekämpft hatte. »Die gute Nachricht: Wir haben Beißners privates Laptop gefunden und den Inhalt komplett geklont. Die schlechte: Als die Bullen kamen, konnten wir nur noch durch den Hof abhauen …«
Mit jedem Bissen ging es ihr ein wenig besser. Was eine warme Mahlzeit ausmachte! Und am Schluss erzählte sie sogar mit Begeisterung von der kleinen Komödie, die Kalle mit dem Tanga und dem Vibrator veranstaltet hatte.
Als ihre Lachanfälle vorüber waren, zog Mager sein Mobiltelefon: »Und jetzt müssen wir etwas für Kalle tun!«
Er suchte eine Weile nach der richtigen Nummer, drückte auf Anrufen und wartete angespannt. Gut zwanzig Sekunden vergingen, dann erhellte sich sein Gesicht: »Mager hier. PEGASUS braucht dich!«
Den Entsetzensschrei des Gesprächspartners hörte Simone auch ohne Lautsprecher.
»Was hast du gegen uns? – Quatsch, bisher haben wir noch jede deiner Rechnungen bezahlt! – Mahnungen? Wenn wir für dich Halsabschneider immer gleich eine Hypothek aufnehmen müssen! – Nein? Tut mir in der Seele weh, dass wir deine VIP-Karte in Gelsenkirchen sponsern! – Hurensohn? Beleidige meine Mutter nicht!«
Mager sah kurz auf und deckte das Mikrofon ab: »Der Scheißkerl ist Schalker. Aber als Anwalt genial!«
Dann wandte er sich wieder seinem königsblauen Gesprächspartner zu: »Also, Kalle hat Pech gehabt. Ist in Hattingen im Garten eines Wohnhauses von den Bullen aufgegriffen worden, wie zufällig anwesende Zeugen mir berichtet haben. – Was? Kriminell? Deine Rechnungen sind kriminell. Aber wir … – Schon mal was von investigativem Journalismus gehört? – Klar kenne ich Wallraff. Er ist Spezialist für die großen Nummern. Aber wir sind die Wallraffs des Alltags! – Nein, das war kein
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