Achsenbruch
dürfen und was nicht? Wenn Sie bisher nicht dazu gekommen sind, sollten Sie es nachholen. Das würde unsere Kommunikation deutlich vereinfachen.«
Der Präsident sprang auf und wurde endlich laut: »Raus mit Ihnen, Sie Flegel! Und treten Sie mir erst wieder unter die Augen, wenn Sie die richtigen Täter haben!«
Lohkamp zwang sich zu einem Lächeln: »Danke für das Gespräch. Wie immer war es sehr aufschlussreich!«
Sanft schloss er hinter sich die Tür.
»Herr Lohkamp«, flüsterte die Vorzimmerdame, »Sie dürfen Herrn Flenner nicht so in Rage bringen. Er hat doch so ein schwaches Herz.«
»Es ist nicht unbedingt das Herz, Frau Kunkol. Manchmal ist es auch der Verstand!«
29
»Morgen, Klaus!«
Mager schrak auf. Er saß gerade auf dem Mäuerchen vor der Haustür, inhalierte seine Frühstückszigarette und dachte darüber nach, wie es wohl seinem Erstgeborenen im Polizeigewahrsam ergangen war. Dass inzwischen sein Nachfolger im Hinterhaus in den Hof getreten war und eine prall gefüllte Aktentasche im Kofferraum seines Volvo verstaute, hatte er bis zu diesem Gruß gar nicht registriert.
»Was ist?«, grinste Mager. »Ferien vorbei?«
»Ach, das ist nicht das Problem.«
»Sondern?«
Der Lehrer bewegte seine von Gram gebeugte Gestalt auf Mager zu: »Es geht um den Anbau. Das Hinterhaus ist für uns viel zu klein.«
Mager nickte und heuchelte Verständnis. Der Pädagoge hatte aus seiner ersten Ehe eine Tochter mitgebracht, die nun Kalles altes Zimmer bewohnte, und sich selbst in Magers ehemaligem Revolutionsarchiv eingerichtet. Doch dann beging er den zweiten Kardinalfehler seines Lebens und zeugte, sei es aus Vorsatz oder Nachlässigkeit, mit Mechthild einen Sohn. Ein ständig unter Bauchgrimmen, Ohrenschmerzen und Schlaflosigkeit leidendes Menschlein, das zudem noch mit den Vornamen Marcus Antonius gestraft war.
Zwei Jahre lang beeinträchtigte das ewig heulende Kind den Schulmann nur am Rande, da Mechthild es meist im Wohnzimmer des Hinterhauses unter Verschluss hielt und endlos in den Armen wiegte – was nach Magers fester Überzeugung der Hauptgrund für die Leiden des Jungen war. Doch dann überkam die Mutter die alte Sehnsucht nach Bauchtanz, Yoga und esoterischen Meditationen und sie quartierte den kleinen Antonius im Zimmer des Erzeugers ein.
»Klaus, du weißt doch selbst, wie Mechthild schnarcht. Ich brauche endlich wieder ein eigenes Schlaf- und Arbeitszimmer.«
Mager nickte abermals. An dieses Problem konnte er sich noch bestens erinnern.
»Und Susanne hat uns doch die Zustimmung zu einem Anbau versprochen.«
»Wann?«
»Damals, auf diesem Fest, als Mechthild und Karin zum ersten Mal über ihre Schwangerschaften gesprochen haben.«
»Weiß ich nichts von«, log Mager. »Hast du das schriftlich?«
»Nein, aber ich meine … Mensch, ich muss meine Hefte am Küchentisch korrigieren.«
»Das ist wirklich übel«, stimmte Mager leidenschaftslos zu. Aber im Gegensatz zu dem Pädagogen dachte er an die Fettflecken, die sich von dort auf die Umschläge der Klassenarbeitshefte übertrugen.
»Eben. Ohne Arbeitszimmer geht es wirklich nicht.«
»Ich kann dir aber nicht helfen. Sprich mit Susanne, der gehört das Haus. Im Übrigen – wieso mietest du nicht die Dachstube über Karins Wohnung? Früher hat Saale darin gewohnt, später ich und jetzt haust Kalle da. Aber der will wieder ausziehen. Schon mal von innen gesehen? Die Hütte eignet sich wunderbar – als Arbeitszimmer und Versteck.«
»Ich soll mich von meiner Familie trennen? Nie!«, beteuerte der Nachfolger.
Nee, dachte Mager, dazu bist du im Moment noch zu feige. Aber noch drei Jahre Mechthild, dann bist du reif und legst du dich freiwillig oben auf dem Bahndamm vor die S-Bahn.
»Wer spricht denn von Trennung?«, sagte er dann. »Ist doch nur zum Arbeiten. Und wenn du mit den Heften fertig bist, gehst du wieder ins Hinterhaus und genießt das wunderbare Zusammensein mit deiner Frau.«
»Mechthild würde das nicht gefallen, wenn ich ständig im Vorderhaus wäre.«
Klar, dachte Mager. Weil da der Wind der Freiheit weht.
»Kannst du wirklich nicht mal mit Susanne über den Anbau reden?«
»Mensch, wo soll der denn hin? Meinst du, Mechthild würde ihren Kräutergarten opfern?«
Diesen Aspekt hatte Mechthilds Haussklave offenbar noch gar nicht erwogen. Auf jeden Fall erschien auf seinem Gesicht jetzt der Ausdruck endloser Hoffnungslosigkeit.
»Außerdem – das mit dem Arbeitszimmer ist sowieso Quatsch. Stand doch erst letzte
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