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Achsenbruch

Achsenbruch

Titel: Achsenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Junge
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Gouvernantengesicht nahm jetzt den Ausdruck von Bekümmerung an, aber ihre Stimme wurde ein wenig lauter: »Manchmal habe ich den Eindruck, dass Sie Ihren Beruf nicht mehr ernst nehmen. Auch kurz vor der Rente muss man sich noch auf das Wesentliche konzentrieren.«
    Jedes andere Geräusch im Raum verstummte nun und Lohkamp genoss seinen Auftritt: »Danke für die Belehrung. Aber muss man das nicht auch, wenn man noch weit von der Rente entfernt ist?«
    Ein leichtes Glucksen kam auf. Die Sphinx warf einen eisigen Blick zu dem Tisch hinüber, an dem ihre eigenen Leute Aktenstaub fraßen, und die Männer senkten schuldbewusst die Köpfe.
    »Wie soll ich das verstehen?«
    »Nun ja, Sie haben gestern mit großem Eifer Beißners Kanzlei auseinandernehmen lassen. Aber vielleicht hätten sie besser eine Etage höher gesucht.«
    »Und was hätte ich da gefunden?«
    Lohkamp sagte es ihr – laut genug, dass es jeder hören konnte. Dorn wurde so blass, dass man in jedem Ballsaal des achtzehnten Jahrhunderts nach dem Riechfläschchen gerufen hätte.
    31
    Die Tür zur PEGASUS-Zentrale wurde schwungvoll aufgestoßen und Simone stürmte herein. Haare zerzaust, Wangen gerötet, den unverkennbaren Punk-Rucksack auf den Schultern.
    »Hi zusammen! Gibt’s was Neues von Kalle?«
    Susanne legte die Büroklammer zur Seite, der sie eben noch zu einer neuen Form verhelfen wollte: »Leider nicht. Unser Anwalt hat Akteneinsicht beantragt und erst für heute Nachmittag einen Besuchstermin bekommen. So ein Pech aber auch – wie viele Sekunden fehlten Kalle, um noch über die Mauer zu klettern?«
    »Fünf oder zehn. Aber das ist es nicht.«
    »Wieso?«
    »Ich glaube, er hat sich den Bullen freiwillig zum Fraß vorgeworfen.«
    »Wie kommst du darauf?«, fragte Mager, der bis dahin ungerührt an seinem Mettbrötchen gekaut hatte.
    »Überleg doch: Wenn er ihnen entwischt wäre, hätten sie sofort eine Fahndung eingeleitet und Jagd aufgenommen. Aber als sie ihn hatten, waren sie erst einmal beschäftigt. Lange genug, damit ich abhauen konnte.«
    »Guter Junge!«, sagte Mager.
    »Aber mir tut er leid«, wandte Susanne ein. »Die Nacht in der Zelle. Wer weiß, mit welchen Typen …«
    »Ach was!«, winkte Mager ab. »Eine Nacht im Knast hat noch keinem geschadet. Außerdem setzt er damit eine stolze Familientradition fort.«
    »Stolz? Du bist doch damals auch nur irgendwo eingebrochen, hat er mir erzählt«, lächelte Sim.
    »Stimmt. Aber ebenfalls rein dienstlich. Im Kampf gegen das Verbrechen. Oder für Wahrheit und Gerechtigkeit.«
    »Und dafür werdet ihr beide jetzt Helden der Sowjetunion oder so etwas?«
    Mager blickte sie einen Augenblick verblüfft an und lachte dann los: »Ist das ein Aas! Kaffee?«
    »Hatte ich schon. Machst du mir einen Roibuschtee?«
    »Gerne.« Mager stand auf, füllte den Wasserkocher und fischte aus Susannes Vorrat den passenden Teebeutel heraus. »Du erlaubst?«
    Die Chefin nickt stumm. In zwanzig Jahren PEGASUS hatte er sich zwar hin und wieder dazu hinreißen lassen, eine Kanne Kaffee zu kochen – aber sich immer geweigert, irgendein ›Unkrautgesöff‹ aufzugießen.
    »Und wann, meinst du, kommt Kalle wieder raus?«
    »Mitleid oder Sehnsucht?«
    »Ja«, lächelte Sim, ohne sich näher zu erklären.
    Der Kameramann sah sie nachdenklich an und ging dann auf ihre Frage ein: »Kalle wird nicht lange sitzen. Unser Lieblingsanwalt ist zwar ein Arsch, aber was bei seinen Bemühungen am Ende rauskommt, kann sich sehen lassen.«
    »Mann, was bist du pervers!«, kicherte die Punkfrau, hob die Hand und bot ihm die Fünf. Mager schlug ein.
    Zehn Minuten und ein Sesambrötchen später öffnete Simone endlich ihren Rucksack und zog das Notebook heraus: »Kann ich anfangen?«
    Mager und Ledig nickten.
    »Leider bin ich nicht an alles herangekommen. Ich konnte von Beißners Notebook ein Image ziehen und habe dieses auf einer virtuellen Maschine wiederhergestellt. Das Windows-Passwort konnte ich auch problemlos umgehen. Aber leider ist eine der beiden Partitionen vollständig verschlüsselt. Habe wirklich tief in die Trickkiste gegriffen. Leider erfolglos. Gegen eine gute Verschlüsselungssoftware kann auch der beste Hacker nichts ausrichten.«
    »Wieso eigentlich?«, fragte Mager.
    Sim seufzte: »Dabei spielen immer zwei unterschiedliche Primzahlen eine Rolle, die so viele Stellen haben, dass du sie siebzehn Mal um die Erde wickeln könntest. Es gibt keinen Rechner auf der ganzen Welt, der die noch zu deinen Lebzeiten finden

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