Achsenbruch
zur OB.
Die Polizisten, die ihre Oberbürgermeisterin bewachten, sahen völlig fertig aus. Sie hatten die Ärmel ihrer Uniformhemden hochgekrempelt und ihre Krawatten in die Dienstmützen fallen lassen, die umgedreht neben ihren Stühlen lagen. Die Luft in dem schmalen Korridor war stickig und die Langeweile hatte ebenfalls an der Kondition der Jungs genagt.
»Ist sie da?« Lohkamp deutete mit dem Daumen auf die Tür des Appartements, in dem Sonnenschein seit drei Tagen kampierte.
»Ja. Aber Sie dürfen nicht rein!«
»Wer sagt das?«
Einer der Beamten deutete mit dem Kinn zur Feuertreppe hinüber. Hinter der Glastür stand eine schlanke Frau, die etwa in seinem Alter war und misstrauisch herüberäugte. Ihre Kurzhaarfrisur verlieh ihr etwas deutlich Maskulines und sie rauchte ihre Zigarette mit der Gier eines Kerls, der gerade seine Entwöhnungskur abgebrochen hatte.
Als Lohkamp sich in Bewegung setzte, schüttelte sie bereits den Kopf, und auch der Dienstausweis half ihm nicht weiter: »Sie ruht sich aus. Ich warte noch ein halbes Stündchen, bis ich sie wecke. Sie können hier im Flur oder unten im Auto warten. Wenn ich fahre, sage ich Ihnen, ob sie Sie sehen will.«
Seelenklempnerin, dachte Lohkamp und nutzte die Zwangspause, um sich im Uni-Center ein Käsebaguette und einen Kaffee zum Mitnehmen zu besorgen. Danach blieb ihm noch Zeit für zwei Zigaretten, bis die Schlanke aus dem Haus kam und ihm grünes Licht gab.
»Wie geht es Ihnen?«, fragte er nach der Begrüßung.
»Schlecht. Eine Gefängniszelle kann nicht viel schlimmer sein als diese Bude. Ich will wieder nach Hause.«
»Dort wartet viel Arbeit auf Sie.«
»Besser als das ewige Herumsitzen«, bekannte sie und bot ihm endlich einen Platz an. »Was kann ich für Sie tun?«
Ihre direkte Art half ihm, schnell zur Sache zu kommen. Nacheinander legte er ihr die ausgedruckten Fotos auf den Tisch: »Die habe ich vor zwei Stunden anonym per Mail bekommen.«
Ihr abgespanntes, von der Schwüle gerötetes Gesicht verhärtete sich, als sie begriff, was sie da sah. Eine ganze Weile blickte sie reglos auf die Abbildungen. Ist vielleicht doch nicht die feine Art, dachte er, ihr die Bilder zwei Tage nach Beißners Tod vorzulegen. Aber irgendwie müssen wir ja weiterkommen.
Endlich rümpfte sie die Nase, als hätte sie gerade geweint, stand auf und goss sich umständlich ein Glas Whisky ein.
»Für Sie auch?«
Im Normalfall hätte er abgelehnt, aber er wollte sie nicht brüskieren: »Aber bitte stark verdünnt.«
Sie nickte und stellte ihm ein Glas Mineralwasser neben seinen Drink. Dann nahm sie wieder Platz.
Ihre Augen waren auf ihn gerichtet, aber sie schien durch ihn durchzusehen.
»Haben Sie wirklich nichts gewusst?«
Sie bewegte leicht ihren Kopf. Ein Nein.
»Keine Anzeichen?«
»Nichts. Ich weiß natürlich, dass es in seinem früheren Leben einige Frauen gegeben hat. Ich war ja auch kein unbeschriebenes Blatt mehr, als wir zusammenkamen«, sagte sie und wagte den Anflug eines Lächelns. »Aber er war mir gegenüber immer sehr charmant und aufmerksam. Es gab auch keine längeren Phasen, in denen wir getrennt gewesen wären. Kann eigentlich gar nicht lange gedauert haben, diese Affäre.«
Sie schaute ihn fragend an, aber er reagierte nicht.
»Ich habe ihm völlig vertraut.«
»Wieso hatte er eigentlich noch seine Wohnung in Hattingen?«
»Seine Fluchtburg, wie er sagte. Nach der Trennung von seiner Frau hat er sich in Hattingen die neue Existenz aufgebaut. Ist in die Kanzlei eingestiegen, deren Chef damals noch im selben Haus gewohnt hat. Nach dessen Tod hat er das ganze Haus übernommen. Und sich vorgenommen, da zu bleiben. Er wollte nie mehr ganz von vorn anfangen.«
Ihr Bericht hatte ein wenig zäh begonnen, wurde aber bei dem vertrauten Thema flüssiger. Jetzt aber stockte sie: »Doch das muss ich jetzt.«
»Wenn Sie die Bilder gefunden hätten, als er noch lebte …«
»Ich hätte ihn wahrscheinlich sofort vor die Tür gesetzt.«
Lohkamp überlegte. Dann legte er zwei Fotos nebeneinander – aus jeder Serie eins. Sie verstand sofort, was er damit beabsichtigte, und lächelte traurig: »Sie meinen: Wer wilde Tiere mit dem Bewegungsmelder schießt …«
Er nickte leicht, wartete.
»Ich bin seit fünf Jahren nicht mehr in seiner Wohnung gewesen. Seit wir das Haus in Bochum gekauft haben.«
»Wer hatte dann Zugang?«
»Die Putzfrau.«
»Und seine Tochter?«
»Weiß ich nicht. Ich habe sie höchstens ein Mal pro Jahr gesehen –
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