Adams Erbe (German Edition)
Sie. Die gehört Ihnen. Sie sollten sie mit nach München nehmen.«
Er sah mich verwundert an.
»Bitte…« Mehr brachte ich nicht heraus. Es schien mir einfach nicht richtig zu sein, etwas zu besitzen, was ein anderer so sehr liebte. Als Edda nickte, klemmte er sich den Koffer unter den Arm und flüsterte: »Danke.«
»Ich war eh nicht so gut«, sagte ich, als wir wieder allein waren »Und es war seine, oder? Es war immer seine.«
Im Herbst sah es so aus, als ob Busslers schnurrbärtiger August es doch nicht schaffen würde. Aber dann kam das nächste Jahr, und Hitler wurde Kanzler, der Reichstag brannte, und die Weimarer Verfassung wurde außer Kraft gesetzt.
Zuerst dachte ich, die Männer wären Verwandte von uns oder Verehrer von ihr, als Edda die Bilder irgendwelcher Parteigrößen an die Wand nagelte. Sie brachte mir bei, oder versuchte es zumindest, in den Gesichtern der neuen Machthaber zu lesen. Jedes Bild, das wir in der Zeitung, in Bildbänden und später in Eddas Zigarettenpackungen fanden, wurde aufs genaueste untersucht, bevor es einen Platz an der Wand bekam.
Wir brüteten gerade über einer Aufnahme von Goebbels, als Greti Cohen den Dachboden stürmte. Ihr Gesicht war bleich, und als ihr Blick auf die Galerie hinter uns fiel, wurde es noch bleicher.
»Warum hängen die alle da, Mutter?«
»Oh, Adam und ich beschäftigen uns mit der Zukunft.«
»Das ist widerlich.«
Sie ließ sich auf einen Stuhl fallen und griff nach Eddas Zigaretten. Es war der 1. April 1933. Auf sämtlichen Litfasssäulen klebten seit Tagen Plakate, die zum Boykott jüdischer Geschäfte an ebendiesem 1. April aufriefen.
»Ich war in Kulders Bäckerei. Da stehen SA -Leute davor, die schreien einen an.«
Edda und ich ignorierten die aschfahle Greti und setzten unsere Diskussion über Goebbels’ Mund fort.
»Vielleicht zürnt mir Gott, weil ich Adam nicht habe beschneiden lassen, weil…«
Edda seufzte. »Greti, meinst du nicht, dass du dich ein wenig zu wichtig nimmst? Meinst du, dein Gott veranstaltet den ganzen Zirkus da draußen wegen Adams Vorhaut? Dein Gott hat damit nichts zu tun, meine Liebe.«
Meine Vorhaut wurde zu Gretis fixer Idee, und ich hatte allmählich Angst, dass sie selbst zum Messer greifen würde, um sie mir abzuschneiden. Zusammen mit Moses, meinem frommen, ernsten Bruder, probierte sie mich vergeblich für ihre Gebete und die Synagoge zu begeistern.
Der Riss, der durch unsere Familie lief, wurde immer spürbarer. Auf der einen Seite Mama und Moses, die ihren Gott anriefen, auf der anderen Seite Edda und ich, die versuchten, in den Gesichtern der Mächtigen die Zukunft zu lesen. Beides sollte sich als sinnlos erweisen, aber immerhin nahm mir die permanente Beschäftigung mit ihren Nasen und Augen, mit ihren Mündern und Wangenknochen jegliche Furcht vor allen Görings und Himmlers dieser Welt. Es war, als hätte ich in sie hineingeblickt und ihre wunden Punkte gesehen. Ich habe sie niemals für unbesiegbar gehalten. Das war der Hauptpreis, den es in unserem Spiel zu gewinnen gab.
Die neuen Herrscher meines Landes erließen in diesem ersten Jahr noch ein paar Gesetze, die jüdischen Beamten, Schriftstellern und Künstlern das Leben schwermachten.
Und obwohl Greti zu keiner dieser Berufsgruppen gehörte, wurde sie blasser und blasser und vertrocknete noch ein bisschen mehr. Meine Mutter sprach immer leiser. Selbst ihre täglichen Schreie in dem Zimmer meines Vaters verstummten, und wenn sie mehr als drei Sätze am Stück sagte, waren es entweder Gebete oder es ging um meine Vorhaut.
Moses wurde einfach nur ernster. Wir wussten, dass er in der Schule unter einem bestimmten Lehrer zu leiden hatte, aber er beschwerte sich nicht.
An mir ging das alles spurlos vorbei. Ich hatte Strund, der noch immer jeden Tag zu uns nach Hause kam und sich mit mir abmühte. Eddas Mischpoke versammelte sich wie eh und je auf dem Dachboden, und nach einer Weile gewöhnte sich selbst Luigi an unsere Bilderwand.
Im Frühling 1934 stand Bussler vor unserer Tür. Er trug eine Uniform und schien ein paar Zentimeter gewachsen zu sein, aber etwas anderes irritierte mich weit mehr als der neue Aufzug und die dazugewonnenen Zentimeter. Ich brauchte ein paar Atemzüge, um herauszufinden, was es war.
»Herr Leutnant, Sie haben ja Finger.«
Stolz hob Bussler seine Hände, die wie früher in schwarzem Leder steckten, aber den toten Mäusen waren Schwänzchen gewachsen.
»Eine Prothese. Schau, man kann sie verstellen.«
Und
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