Adrenalin - Iles, G: Adrenalin - The Devil's Punchbowl
in zwölf bis fünfzehn Stunden in Natchez eintreffen könne. Das war schneller, als ich gehofft hatte, und endlich mal eine erfreuliche Nachricht. In schlechten Zeiten bewirkt Kelly positive Dinge, und wenn ihm das nicht gelingt, schreckt er zumindest alle ab, die noch Schlechteres vorhaben.
Da die fehlende DVD meiner Familie Sicherheit vor Sands – oder mir die Waffe zu seiner Zerstörung – verschaffen kann, brenne ich darauf, die Suche fortzusetzen, aber die schiere Größe der Aufgabe ist erdrückend. Nun verstehe ich, weshalb Quinn unbedingt wollte, dass ich diese Aufgabe übernahm. Fremde würden Wochen brauchen, um sich auf diesem Friedhof zu orientieren.
Als mein Handy klingelt, rechne ich beinahe schon damit, Seamus Quinns Stimme zu hören, aber der Anrufer ist Paul Labry.
»Penn, du musst dich hier blicken lassen«, sagt er.
»Wo? In der Ramada?«
»Nein, wir haben das Treffen der Ballonfahrer ins Besucherzentrum verlegt, weil wir mehr Platz brauchen. Alle wissen von der Schießerei, und sie wollen bei der Planung der Ereignisse mitreden.«
»Schön, aber das ist die Entscheidung der Stadt. Die Ballonfahrer können bleiben oder abreisen, wie es ihnen gefällt.«
»Die meisten wollen aus erster Hand hören, was passiert ist, bevor sie sich festlegen. Es ist wirklich nötig, dass du herkommst. Das Treffen ist zurzeit ein geordnetes Chaos. Noch fünfzehn Minuten, und es könnte zu einem Krawall kommen.«
»Bin schon unterwegs.«
Das Besucher- und Empfangszentrum von Natchez sieht aus wie das Studentenwerkgebäude eines College. In den Hang im Schatten eines Hampton Inn und eines Casinohotels eingefügt, ist es fast unsichtbar, wenn man die Brücke von Louisiana nach Mississippi überquert. Bei größeren Veranstaltungen ist ein Zugang so gut wie unmöglich. An die hundert Pick-ups mit Ballon-Anhängern drängen sich auf dem Parkplatz. Die Fläche wäre groß genug, hätte man nicht ungezählte Autos auf dem gesamten übrigen Gelände und sogar auf der Böschung abgestellt. Den Nummernschildern entnehme ich, dass es Einheimische sind, die durch die Gerüchte über die Schießerei des heutigen Morgens angelockt wurden. Mir wird klar, dass es eine halbe Stunde dauern könnte, bis ich mir einen Weg durch das Gewimmel gebahnt habe. Doch als ich mich dem Rand der Menge nähere, erhalte ich eine SMS von Paul Labry, in der er mir mitteilt, ich solle einen Personaleingang hinter dem Zentrum benutzen, wo er auf mich wartet.
Wie versprochen, lässt Labry mich ins Gebäude ein und führt mich rasch durch einen Flur in den Versammlungsraum, der eher an ein Arbeitsgruppenzimmer in einem Konferenzhotel denken lässt. Hundert Männer und vielleicht fünfzig Frauen sitzen auf Klappstühlen vor einem Pult, das auf einem kleinen Podest steht. Eddie Jarvis, einer der Stadträte, hält eine Rede. Alle wirken erstaunlich ruhig. Labry flüstert mir etwas ins Ohr, doch ich brauche ein paar Sekunden, um die Bedeutung seiner Worte zu erfassen.
»Hans Necker hat gerade unseren Hals gerettet. Er hat sofort nach seiner Operation ein paar einflussreiche Ballonfahrer angerufen und sie wissen lassen, dass die Schüsse seiner Meinung nach ein dummes Versehen waren. Ein paar Jungs auf der Jagd, die über die Stränge geschlagen haben. Ungefähr die Hälfte der Ballonfahrer wollte sowieso weiterfliegen. Das Wetter war seit Jahren nicht so gut. Außerdem sind sie scharf auf die Preisgelder.«
»Was sagt der Festivalausschuss?«
»Was erwartest du? Ballons in der Luft bringen Geld. Ein Sonntag ohne Ballons ist finanziell immer ein Blindgänger.«
»Muss ich überhaupt etwas sagen?«
»Nur ein kurzes Wort des Dankes. Zeig ihnen, dass du wohlauf bist. Mach ihnen Mut.«
Viele der Anwesenden haben mich bemerkt, und ihre Aufmerksamkeit gilt nun mir, nicht Eddie Jarvis. Er winkt mich heran, und ich trete ans Pult.
»Ladies and Gentlemen, ich möchte Ihnen danken, dass Sie trotz der kurzfristigen Ankündigung hier erschienen sind. Was Hans Necker und mir heute zugestoßen ist, hat uns alle betroffen gemacht. Aber Sie müssen wissen, dass ich mit Hans übereinstimme: Es war ein dummer Zufall. Meiner Ansicht nach sollten jede Ballonfahrerin und jeder Ballonfahrer selbst entscheiden, ob sie weiterfliegen wollen. Wir werden das Festival in jedem Fall fortsetzen. Die Polizei wird heute Nachmittag und morgen an der Strecke sehr präsent sein.«
»Werden Sie heute Nachmittag fliegen?«, ruft jemand unter gedämpftem Gelächter.
»Ja. Aber
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