Aelita
Norden zu den Zyklopen. Menschenopfer wurden dargebracht. Auf den Gipfeln der Tempel loderten unaufhörlich die Feuer der Scheiterhaufen. Die Einwohner der Stadt strömten in Scharen herbei zu den blutigen Opferungen, gaben sich verzückten Tänzen und sinnlichen Ausschweifungen hin, berauschten sich am Wein und verschwendeten ihre Schätze.
Die Priester und Philosophen bereiteten sich auf die große Heimsuchung vor: sie trugen die Bücher des Großen Wissens in die Berge, in Schluchten, und vergruben sie dort in der Erde.
Der Krieg begann. Sein Schicksal war im voraus entschieden: die Atlantiden konnten nur ihren Reichtum verteidigen, von dem sie übersättigt waren, die Nomaden aber waren beseelt von der Habgier des Urzustandes und dem Glauben an die Verheißung. Trotzdem war es ein langer und blutiger Kampf. Das Land wurde verwüstet. Hunger und Seuchen verbreiteten sich. Die Heere liefen auseinander und plünderten alles, was sie plündern konnten. Die Stadt der Hundert Goldenen Tore wurde im Sturm genommen, und ihre Mauern wurden zerstört. Der Sohn der Sonne warf sich von der Spitze der gestuften Pyramide hinab. Die Feuer auf den Gipfeln der Tempel erloschen. Nur wenige der Weisen und Eingeweihten entflohen in die Berge, in die Höhlen. Die Zivilisation ging unter.
Zwischen den zerstörten Palästen der großen Stadt, auf ihren mit Gras bewachsenen Plätzen weideten Schafe, und ein gelbgesichtiger Hirte sang das traurige Lied von dem glückseligen, wie eine Fata Morgana in der Steppe leuchtenden verheißenen Lande, wo die Erde himmelblau ist und der Himmel golden.
Die Nomaden fragten ihre Führer: ›Wohin sollen wir noch gehen?‹ Die Führer antworteten ihnen: ›Wir haben euch in das verheißene Land geführt, siedelt euch an und lebt in Frieden.‹ Viele der Nomadenstämme gehorchten aber nicht und zogen noch weiter nach Westen, in das Land der Gefiederten Schlange; dort wurden sie jedoch von dem Gebieter der Stadt Ptitligua vernichtet, Einige der Nomadenstämme drangen bis zum Äquator vor und kamen durch Elefantenherden oder Sumpffieber um, andere wurden von Negern getötet.
Die Führer der Gelbgesichtigen, die Utschkuren, wählten unter sich den weisesten der Heerführer und machten ihn zum Regenten des unterworfenen Landes. Sein Name war Tubal. Er befahl, die Mauern auszubessern, die Gärten zu säubern, die Äcker zu pflügen und neue Wohnstätten zu bauen. Er erließ viele einfache und weise Gesetze. Er berief die in die Höhlen geflohenen Weisen und Eingeweihten zu sich und sprach zu ihnen: ›Meine Augen und Ohren sind geöffnet für die Weisheit.‹ Er machte sie zu seinen Ratgebern, gestattete ihnen, die Tempel zu öffnen, und sandte überallhin Boten aus mit der Nachricht, daß er den Frieden wolle.
Dies war der Beginn einer dritten, der höchsten Zivilisationswelle auf Atlantis. In das Blut der zahlreichen Stämme – der schwarzen, roten, olivenfarbenen und weißen – ergoß sich das schwärmerische, wie Hopfen gärende Blut der asiatischen Nomaden, der Sternenanbeter, der Nachkommen der besessenen Su Chutam Lu.
Die Nomaden vermischten sich mit den anderen Stämmen und gingen sehr bald in ihnen auf. Von den Jurten, den Herden und der wilden Ungebundenheit waren bald nur noch Lieder und Legenden übriggeblieben. Ein neues Geschlecht kräftig gebauter, schwarzhaariger, gelbbräunlicher Menschen kam herauf. Die Utschkuren, die Nachkömmlinge der Reiter und Heerführer, bildeten die Aristokratie in der Stadt. Sie liebten die Wissenschaften, die Künste und den Luxus. Sie schmückten die Stadt mit neuen Mauern und siebeneckigen Türmen, verkleideten einundzwanzig Abstufungen der großen Pyramide mit Gold, bauten Aquädukte, verwandten als erste in der Architektur die Säule.
Die abgefallenen Länder und Städte wurden in Kriegen von ihnen neu erobert. Im Norden führten sie Krieg mit den Zyklopen, den von der Blutsvermischung verschont gebliebenen und verwilderten Nachkommen der Semse. Der große Eroberer Ramah drang bis Indien vor. Er vereinigte die noch jungen arischen Stämme in dem Königreich Rha. So erweiterten sich noch einmal, zu noch nie dagewesenen Ausmaßen die Grenzen von Atlantis und wurden befestigt: vom Lande der Gefiederten Schlange bis zu den asiatischen Küsten des Stillen Ozeans, von denen einstmals die gelbgesichtigen Riesen Steine auf die ankommenden Schiffe geworfen hatten.
Die schwärmerische Seele der Eroberer strebte nach Wissen. Die uralten Bücher der Semse und
Weitere Kostenlose Bücher