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Aethermagie

Titel: Aethermagie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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Sie in das Sanctum Sanctorum unserer Einrichtung aufzunehmen. Willkommen auf Station D.«

    Es dämmerte vor dem winzigen Fenster seines Zimmers, als Jewgenij sich das Bettzeug in den Rücken stopfte und, gegen die Wand gelehnt, seine Knie als Schreibunterlage nutzend, seinen ersten Bericht an Major Nagy aufsetzte.
    Der kalte Schreck darüber, dass seine Kammer mit der geheimen Höhlung nun unerreichbar hinter verschlossenen Türen zwei Etagen unter ihm lag, hatte sich schon bald gelegt, als er auf dem Weg vom Korridor zu einem der Behandlungsräume Johannsen begegnete, der ihm zunickte und »dein Zimmer ist fertig, 329« sagte.
    »Danke, Herr Hilfswärter«, erwiderte Charcot an Jewgenijs Stelle. »Sehr tüchtig, ein braver Mann«, setzte er hinzu, als Johannsen sich entfernte. Jewgenij atmete tief ein und aus und verkniff sich ein erleichtertes Nicken. Johannsen hatte sicherlich dafür gesorgt, dass er die geheimen Gegenstände auch in seiner neuen Heimstatt vorfinden würde. Er runzelte die Stirn. War Johannsen nicht daran gescheitert, in die Abteilung D vorzudringen? Anscheinend hatte sich das mittlerweile geändert. Er seufzte.
    »Katya«
, begann er zu schreiben,
»ich kann nur hoffen, dass diese Aufzeichnungen Dich erreichen und Dir und unserem Auftrag von Nutzen sein werden. Unser Mann hat mir Schreibpapier und ein Notizbuch beschafft, das ich ebenfalls zu nutzen gedenke, und sei es, um Dir, wenn wir dies hier hinter uns haben, einen detaillierten Eindruck meiner Zeit und meiner Erlebnisse in dieser schreckerregenden Einrichtung schildern zu können.«
    Er ließ den Stift sinken und blickte ins Leere. Das schwache Nachtlicht, das über der Tür brannte, reichte gerade aus, um das Geschriebene im verdämmernden Licht des Tages als graue Spur auf dem weißen Papier ausmachen zu können, aber Jewgenij hatte sich vorausschauend darin geübt, auch unter schlechten Lichtverhältnissen noch leserliche Zeilen aufzusetzen.
    »Schreckerregend«
, fuhr er fort,
»ist einerseits vollkommen das rechte Wort und andererseits auch wieder nicht. Es ist ein Krankenhaus, eine Einrichtung der Heilung und des Bemühens um Patienten, denen geholfen werden soll. Der Direktor, Prof. C., scheint ein honoriger und aufrichtig um das Wohl seiner Schützlinge besorgter Mann zu sein. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass er in finstere Machenschaften verstrickt sein soll.«
    Wieder ließ er den Stift sinken und rieb sich mit einer müden Bewegung über die Nasenwurzel. Es war ein langer Tag gewesen. Professor Charcot hatte ihn nach ihrer Unterhaltung erneut an den vollbärtigen Dr. Rados übergeben. Der Arzt hatte in seinen Mund geschaut und nach Erkrankungen gefragt, nach alten Verletzungen, nach körperlichen Einschränkungen. »Sie sind recht gut in Form«, hatte er dann konstatiert und zum Abschluss noch mahnend hinzugefügt: »Das wird kein Spaziergang hier. Nicht, dass Sie glauben, das große Los gezogen zu haben. Sie werden sehr bald Ihre Grenzen aufgezeigt bekommen, Moroni. Gehen Sie jetzt, versuchen Sie zu schlafen. Morgen früh wird ein Wärter Sie zu Ihrer ersten Behandlung bringen.«
    Die Worte des Arztes hatten ihn beunruhigt. Dr. Rados legte keinerlei Drohung in seine Worte, sie klangen beinahe beiläufig, als würde er seinem Patienten einen kleinen Spaziergang und ein leichtes Abendessen empfehlen.
    Jewgenij legte den Kopf an die harte Wand und blickte zu dem kleinen halbrunden Fenster hoch über seinem Kopf auf. Er konnte die ersten Sterne am immer noch hellen Himmel sehen und fühlte die wilde Sehnsucht, sich in einen Vogel zu verwandeln und einfach davonzufliegen.
    Dann senkte er den Blick wieder auf seinen Bericht. Knapp und nüchtern beschrieb er seine Ankunft und die ersten beiden Tage an diesem Ort, die Menschen, die er getroffen und die Gespräche, die er geführt hatte. Dann schloss er:
»Katya, ich weiß nicht, was mich morgen erwartet, denn sie haben es mir nicht verraten. Aber ich habe unser erstes Ziel erreicht, die Abteilung D. Alles Weitere wird sich ergeben. Ich umarme Dich. Shenja«
    Er faltete den Bericht sorgfältig zusammen, schrieb
»Major Nagy«
darauf und legte ihn in das Versteck. Seine Hand schwebte über dem Notizbuch, er zögerte, dann nahm er es, schlug es auf und begann zu schreiben.
    Der erste Tag meines neuen Lebens ist vorüber und auch der zweite neigt sich seinem Ende entgegen. Jetzt schon spüre ich, wie die Welt mit ihren Menschen und Maschinen, Bäumen und Häusern, Pferden und

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