Al Wheeler und die letzte Party
Himmels, aus der
eine gnadenlose Sonne herabbrannte, und das staubige Band der Straße vor mir.
Ich hatte mich so an die schimmernden Stränge der parallel zur Straße
herlaufenden Bahngleise gewöhnt, daß ich sie überhaupt nicht mehr sah. Sie
waren Teil der Wüste geworden, genau wie die niedrigen Sträucher und die
Fingerkakteen.
Dann
tauchte ein Ortsschild mit der Aufschrift Oakridge auf, ein zweites Schild
begrenzte die Geschwindigkeit auf fünfzig Kilometer in der Stunde, und
plötzlich befand ich mich auf der Hauptstraße. Die silberglänzenden Gleise
waren plötzlich aus der Wüste hereingeschwenkt, fegten unbekümmert mitten durch
die Ortschaft und am andern Ende wieder hinaus. Auf einem Nebengleis stand eine
einsame Reihe Güterwagen, die den Anschein erweckten, als stünden sie schon
fünfzig Jahre hier.
Vor
einem Motel verkündete hoffnungsvoll ein Neonschild: Zimmer frei. An der gegenüberliegenden Straßenecke befand sich
ein Eßlokal , an das sich eine Kette von Läden anschloß , die es längst aufgegeben hatten, Geschäfte machen
zu wollen. Judy Manners war großzügig gewesen, als
sie Oakridge ein kleines Nest genannt hatte. Es war
ein winziges Nest.
Ich
parkte meinen Wagen hinter dem Restaurant und stieg aus. Die unbewegte,
hitzegeladene Luft schien jeder Bewegung feindlich, der Schweiß lief mir in
Strömen herunter. Davon abgesehen war mein Hemd bereits seit zwei Stunden klitschnaß .
Das Eßlokal machte einen netten, sauberen Eindruck, und
der elektrisch gekühlte Trinkwasserbehälter sorgte unbeabsichtigt dafür, daß
die Zimmertemperatur einige Grade unter der draußen lag. Gierig wie ein
Verdurstender trank ich ein Glas eiskaltes Wasser und bestellte anschließend Kaffee
und Eier Benedikt. Nach dem Mahl zündete ich mir eine Zigarette an und glaubte,
mich nunmehr wieder hinauswagen zu können. Das Gesicht der Kellnerin hellte
sich auf, als ich sie fragte, wo ich zum Friedhof käme.
»Gleich
hinter dem Motel biegen Sie rechts ab, und zwei Querstraßen weiter stoßen Sie
direkt darauf«, sagte sie. »Sie können ihn nicht verfehlen. Es ist ein wirklich
hübscher Fleck. Opa Coleman verbringt dort seine ganze Freizeit und pflegt die
Gräber — Sie werden überrascht sein, wie hübsch unser Friedhof ist!«
Ich
fuhr langsam am Motel vorbei, wobei mir die feine Staubschicht auffiel, die
über dem kleinen Schwimmbassin vor dem Anmeldebüro lag. Dann bog ich rechts ab
und fuhr weiter bis zur zweiten Querstraße. Die Kellnerin hatte recht gehabt — der
Friedhof reckte sich einem buchstäblich wie eine Oase entgegen. Der Rasen war
liebevoll gepflegt und von einem saftigen Smaragdgrün, so daß man meinen
konnte, er sei eigens vom Beverly-Hills-Country-Club hierhergebracht worden.
Als ich aus dem Wagen stieg, hörte ich das angenehme, sanfte Geräusch von Wassersprühern .
Ich
öffnete das frischgestrichene kleine Tor und betrat den Friedhof. Jedem Grab,
jedem Grabstein hatte man die gleiche liebevolle Sorgfalt angedeihen lassen,
die mir schon beim Anblick des Rasens aufgefallen war. Nachdem ich fünf Minuten
lang Grabinschriften studiert hatte, gelangte ich an das Grab von Elias Fry, 1861—1923 R.I.P.
Daneben
lag eine leere Grabstätte. Ich ging daran vorbei und gelangte an einen
auffallenden Marmorgrabstein in der Form von Engelsflügeln, die hell im grellen
Sonnenlicht gleißten. Die Inschrift lautete: Hier ruht Pearl Coleman, die mit siebzehn Jahren von uns gegangen ist. Darunter stand in kleinerer Schrift: Der
Herr gibt, der Herr nimmt. Die Schrift der letzten Zeile war jedoch
zweimal so groß wie die der vorhergehenden, so daß sie einem wie ein Menetekel
ins Auge sprang: Die Rache ist mein,
sagt der Herr!
Wie
das so dastand, wirkte es wie eine drohende Erinnerung.
Ich
trat zwei Schritte zurück, kniff die Lider gegen das vom Marmor reflektierte
Sonnenlicht zusammen und zündete mir eine Zigarette an. Ich las die Inschrift
noch einmal, ohne daß sich mein Eindruck änderte. Die letzte Zeile stand im
krassen Gegensatz zu dem Vorhergehenden.
»Wir
haben es nicht gern, wenn Leute im Friedhof rauchen, Sie«, hörte ich eine
schwerfällige Stimme hinter mir sagen.
Ich
drehte mich um und bemerkte einen alten Mann, der hinter mir stand und mich
anblickte. Er mußte gegen Siebzig sein, aber sein Rücken war gerade wie ein
Ladestock, und aus dem ausgemergelten mahagonibraunen Gesicht funkelten mich
die blaßblauen Augen böse an. Er trug keinen Hut, nur
ein paar verblichene Arbeitshosen und
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