Alaska
Fleisch des Polarbären zu zerlegen, die wertvollen Knochen zu reinigen, auch die Sehnen und das herrliche weiße Fell. Während sie ihre Arbeit verrichtete, war ihr aufgefallen, dass sich der junge Obergefreite Atkins von der »Evening Star« immer in ihrer Nähe aufhielt und sie beobachtete. In der Eskimosprache, die er sich so schnell beigebracht hatte, konnte er Sopilak und seiner Mutter die Erklärung geben, dass er als Koch des amerikanischen Schiffes lernen wollte, wie die Eskimos das Fleisch des Bären zubereiteten und das der Walrosse und Seehunde, die sie im Winter fingen, und mit dieser Ausführung gab man sich zufrieden.
Die Eskimomänner, die an der großen Jagd teilgenommen hatten, wussten gleichwohl auch, dass allein die Tapferkeit dieses Atkins und seines Anführers Noah Pym Sopilak das Leben gerettet hatte, und da sie immer wieder erzählen mussten, wie die entscheidenden Momente verlaufen waren, hatte bald jeder im ganzen Dorf über seinen Heldenmut erfahren, seine Teilnahme an der Schlachtung, und sein Zusammensein mit Kiinak wurde daher sogar gerne gesehen. Sopilak wiederholte es, sooft die Dorfbewohner es hören wollten: »Der Junge hat mir das Leben gerettet«, und immer, wenn er das sagte, lächelte Kiinak.
Sie war ein lebhaftes Mädchen, nicht ganz 1,50 Meter groß, mit breiten Schultern und einem wachen Gesicht, auf dem sich oft ein Lachen zeigte, das alle verzauberte, die es traf. Ihr ganz besonderes Merkmal aber war der Schopf dichten, pechschwarzen Haares, den sie tief hängen ließ, der die Augenbrauen verdeckte und hin und her tanzte, wenn sie lachte, und sie lachte häufig, denn sie liebte die großen und kleinen Unsinnigkeiten der Welt: die Aufgeblasenheit ihres Bruders, wenn er ein Walross getötet oder einen Seehund gefangen hatte, die verführerische Pose einer jungen Frau, mit der diese die Aufmerksamkeit ihres Bruders erregen wollte, selbst das Wimmern eines Kindes, das seiner Mutter seinen Willen aufzuzwingen suchte. Wenn sie redete, dann hatte sie die Angewohnheit, mit einer scheinbar achtlosen, weiten Geste ihrer linken Hand das Haar aus dem Gesicht zu streichen, in solchen Augenblicken wirkte sie besonders knabenhaft, und die älteren Frauen des Dorfes ahnten bereits, dass sie den Männern den Kopf verdrehen würde, wenn es Zeit für sie war, sich einen Mann zu suchen.
Sie hatte noch etwas anderes sehr Anziehendes an sich, das John Atkins schon aufgefallen war, als er sie das erste Mal in der Hütte erblickt hatte, die sie mit Sopilak, ihrer Mutter und dessen junger Frau teilte: Kiinaks Gesicht war nicht über und über tätowiert wie das vieler Eskimofrauen, lediglich zwei schmale blaue Linien verliefen von der Unterlippe zum Kinnrand, was ihrem großen, rechteckigen Gesicht einen Anflug von Zartheit verlieh, denn wenn sie lachte, dann schienen die Linien daran beteiligt.
Nachdem das Zerlegen des Bären beendet war und pfundschwere nahrhafte Fleischbrocken zur weiteren Verwendung an die Küste geschafft worden waren, gab es für Atkins eigentlich keinen praktischen Grund mehr, sich in Sopilaks Hütte aufzuhalten, aber er blieb trotzdem, und es dauerte nicht lange, da verkündeten die klatschsüchtigen Frauen von Desolation, dass sich sehr bald etwas höchst Interessantes zutragen würde. Ein amüsanter Widerspruch tat sich auf, wie er in vielen Gesellschaften für Verwirrung sorgt: Die älteren Frauen wurden romantisch und hatten ihren Spaß daran, zu beobachten, wie die jungen Mädchen die gleichaltrigen Jungen für sich einnahmen und sie verlegen machten, und sie verbrachten Stunden damit, darüber zu spekulieren, wer mit wem das Bett teilte und was für einen Skandal das hervorrufen würde, aber gleichzeitig waren sie auch strenge Moralistinnen und Behüter der dörflichen Traditionen.
Im Laufe der Jahrhunderte hatte sich gezeigt, dass die Eskimogemeinschaft am besten funktionierte, wenn die Mädchen das Kinderkiegen so lange verschoben, bis sie sich an einen gestandenen Mann gebunden hatten, der auch später für ihre Kinder sorgen würde. Mit den Männern zu spielen und die Sitte, mit dem einen oder anderen hübschen Burschen die Nacht zu verbringen, war andererseits allgemein verbreitet, toleriert, ja, man forderte die jungen Mädchen sogar dazu auf - zum Beispiel eine Tante ihre unbeholfene Nichte, die sich sonst nie an einen Mann getraut hätte -, aber wenn diese Nichte ein Kind erwartete, ohne vorher einen Mann gefunden zu haben, dann musste sie sich von
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