Alix ... : Historischer Roman (German Edition)
sie sogleich nach dem Kämmerer.
„Meister Aaron“, sagte sie fast atemlos zu ihm, „meine Schwester befindet sich eine halbe Tagesreise auf dem Weg hierher! In ihrer Begleitung Juden, vielleicht vierzig an der Zahl, wie die Spielleute sagen. Ein Maultierzug. Bereitet einen würdigen Empfang für diese Leute vor. Tragt auch Sorge, dass genügend Unterkünfte hergerichtet werden, möglicherweise bleiben sie einige Tage, und dass nur ja ausreichend heißes Wasser …“
Aaron hob erstaunt die Brauen. „Vierzig Juden? Aber woher kommen sie?“
„Aus Cahors“, rief Inés. „Dort, wo meine Schwester bis vor kurzem lebte. Aber …“ Sie rief sich zur Odnung, „ich wünsche nicht, dass darüber geredet wird.“
„Wie soll das angehen, Vizegräfin“, meinte Aaron erstaunt. „Wenn so viele Juden in die Stadt ziehen und auch noch als Gäste aufgenommen werden, so fällt das gewiss jedermann auf!“
„Nun gut, dann sagt den Leuten, sie seien auf der Durchreise und ... ach, Euch wird schon etwas einfallen!“ Wie ein Wirbelwind huschte sie an ihm vorbei, um endlich mit Fabrisse und anderen Dienerinnen das zukünftige Gemach der Schwester in Augenschein zu nehmen. Sie veranlasste auch, dass weitere Truhen herbeigeschafft wurden, um Alix` Gewänder und Habe aufzunehmen.
Nun stand sie, fertig angekleidet, am Fenster, und wartete. Wieder einmal …
Sie hatte an diesem Freudentag den Ehrgeiz, mindestens ebenso schön auszusehen wie Alix, wenn nicht sogar schöner. Deshalb hatte sie sich für das Gewand mit den bunten Seidenstücken entschieden, das Jordan von Cabaret an Pfingsten so bewundert hatte; das widerspenstige Haar war von Fabrisse in ein schwarzes, aufwändig mit kleinen Perlen verziertes Netz gebannt worden, dennoch spitzte es überall rot heraus. Nun, ihr gefiel was sie im Spiegel sah: Die prächtigen Töchter Wilhelms, sein ganzer Stolz, hatte Pater Nicolas einmal gesagt. Bald waren sie wieder vereint.
Draußen im Hof pickten die Tauben herum. Wie oft waren sie in Montpellier vor dem Taubenhaus im Gras gesessen, hatten den Ein- und Ausflug der Tiere beobachtet und überlegt, woher sie kamen und wohin sie so eilig fliegen mochten. Alix hatte sich nicht nur im Kopfrucken versucht, sondern auch im Gurren. Sie war sich sicher gewesen, dass sich Tiere untereinander verständigten und hatte darauf gebaut, eines Tages hinter ihre Sprache zu kommen.
Die beiden Windhunde meldeten sich, sie winselten, als spürten sie die Aufregung ihrer Herrin. Inés streichelte sie und streifte ihnen dann die prunkvollen Halsbänder über. Alix würde staunen, sie liebte edle Hunde. Raymond-Roger hatte ihnen Namen gegeben: Gardevias - „Hüter der Fährte“ und Sembla, weil er Gardevias ähnlich sah. Sembla, der blaugraue Hund, war Inés` Liebling, er war der Anhänglichere und Sanftere von beiden. Raymond-Roger hingegen gefiel Gardevias besser ... Daran, dass ihm Alix besser gefallen mochte, wollte Inés nicht mehr denken. Wie dumm von ihr, eine solche Möglichkeit überhaupt in Betracht zu ziehen! Seit es ihr wieder besser ging, seit sich der Trübsinn verabschiedet hatte, liebte Raymond sie noch viel mehr. Der Aufenthalt auf Cabaret hatte ihnen beiden gut getan. Ohne die ständigen Pflichten und den nörgelnden Oheim, der ihm in allen Angelegenheiten dreinredete, war ihr Gemahl ein anderer.
Ob sich Alix verändert hatte? Weshalb konnte sie sich nur nicht an ihr Gesicht erinnern?
Raymond würde bestimmt ein großes Fest ausrichten wollen, ihr zu Ehren, des war sie gewiss. Er liebte Feste und die Auftritte seiner Spielleute. Alix würde aus dem Lachen gar nicht mehr herauskommen, wenn Villaine den König von Frankreich spielte. Seigneurs, voulez-vous entendre un beau chant d`amour et de mort? Voulez vous entendre …
Ja, sie - Inés - wollte immer wieder von der Liebe hören, der Liebe zu Raymond, jedoch nicht vom Tod, nein, davon nicht.
Plötzlich kam ihr die Wölfin in den Sinn. Sie sah sie wieder vor sich, wie sie ihre und die Hand Vidals auf ihre Brust gepresst hatte - und für einen winzigen Augenblick zog sich Inés Herz schmerzhaft zusammen.
Rufe, Pferdegeklapper. Die Knechte sprangen über den Hof und die von ihnen aufgescheuchten Tauben flatterten geräuschvoll die Ulme hinauf. Leichtfüßig, für einen Augenblick wieder ganz das junge, erwartungsvolle Mädchen, das sie ja auch noch immer war, sprang die Vizegräfin von Carcassonne aus ihrem Gemach. Begleitet von den Hunden, die vor Begeisterung bellten,
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