Allan Quatermain
absonderten und laute Schreie ausstießen. Aber das schien den Biestern noch nicht zu reichen. Wann immer sie konnten, schnappten sie mit ihren großen Scheren auch nach uns – was mächtig wehtat – oder versuchten, das Fleisch wegzuzerren. Ein Bursche von enormer Größe kriegte den Schwan zu fassen, den wir gerupft hatten, und begann ihn fortzuschleppen. Sofort stürzte sich ein ganzer Klumpen von ihnen ebenfalls auf die Beute, und dann begann eine widerwärtige und abstoßende Szene. Wie die Biester geiferten und kreischten und das Fleisch und sich gegenseitig zerrupften! Es war ein ekelerregender und unwirklicher Anblick, und keiner von uns wird diesen Anblick sein Lebtag vergessen – noch oft hatte ich dieses scheußliche Schauspiel vor Augen, das sich dort unten in der tiefen, beklemmenden Dunkelheit abspielte, untermalt von dem tausendfach gebrochenen, infernalischen Getöse, das an den Nerven rüttelte. So merkwürdig es auch klingen mag; aber diese widerwärtigen Kreaturen hatten etwas erschreckend Menschliches an sich – es war, als ob alle niederträchtigen Leidenschaften und Begierden des Menschen auf einmal in die Schale einer Riesenkrabbe gefahren wären und dort verrückt spielten. Sie waren so entsetzlich mutig und intelligent, und sie schauten einen an, als ob sie verstünden . Die ganze Szenerie hätte wahrlich genug Material liefern können für einen weiteren Gesang von Dantes ›Inferno‹, wie Curtis bemerkte.
»Ich sage euch, Burschen«, rief Good, »laßt uns so schnell wie möglich von hier verschwinden, sonst werden wir noch alle verrückt!« Wir zögerten nicht lange, diesen Rat zu befolgen. Wir schoben das Kanu, um das die Biester nun zu Hunderten herumkrabbelten und vergeblich versuchten, über den Rand ins Innere zu klettern, von den Steinen, sprangen hinein und dirigierten es in die Mitte des Flusses. Hinter uns ließen wir die Reste unserer Mahlzeit zurück und die kreischende, geifernde und stinkende Masse von widerlichen Kreaturen, die nun mit ihren Leibern das ganze Ufer bedeckten.
»Das sind die Teufel dieses schaurigen Ortes«, sagte Umslopogaas mit der Miene dessen, der ein Problem gelöst hat. Ich muß gestehen, ich war geneigt, ihm recht zu geben.
Umslopogaas Bemerkungen waren wie seine Axt – scharf und treffsicher.
»Was tun wir jetzt?« fragte Sir Henry.
»Wir lassen uns treiben, denke ich«, gab ich zur Antwort, und wir ließen uns also erst einmal wieder treiben. Den ganzen Nachmittag hindurch, bis weit in den Abend hinein, glitten wir so in der Düsternis dahin, hoch über uns die unendlich ferne Linie blauen Himmels. Wir wußten kaum, wann die Nacht angebrochen war, denn unten in dem tiefen Schlund machte sich der Unterschied zwischen Tag und Nacht überhaupt nicht bemerkbar. Schließlich, nachdem eine wahre Unendlichkeit vergangen war, zeigte Good plötzlich mit dem Finger auf einen Stern, der direkt über uns stand. Da wir ohnehin nichts Besseres zu tun hatten, beobachteten wir ihn mit großem Interesse. Mit einem Mal war er verschwunden. Die Dunkelheit wurde völlig undurchdringlich, und ein sattsam bekanntes Rauschen erfüllte die Luft. »Wir sind wieder unter der Erde«, sagte ich mit einem Seufzen und hob die Lampe. Ich konnte sogar das Felsdach erkennen. Der Spalt war zu Ende, und der Tunnel hatte wieder begonnen. Und wieder begann eine lange Nacht des Schreckens und der Gefahr. All die schlimmen Ereignisse, die sie mit sich brachte, zu beschreiben wäre zu mühsam; so will ich hier nur kurz erwähnen, daß wir etwa gegen Mitternacht auf einen flachen, aus der Flußmitte herausragenden Felsen aufliefen und beinahe mit dem Kanu umschlugen. Wir wären unweigerlich ertrunken, doch wir retteten uns mit knapper Not und fuhren auf unserem ungleichmäßigen, nervenaufreibenden Kurs weiter.
Und so vergingen die Stunden, bis es fast drei Uhr war. Sir Henry, Good und Alphonse waren völlig erschöpft eingeschlafen. Umslopogaas kniete wieder im Bug mit der Stange, und ich saß achtern und hielt das Paddel. Plötzlich kam es mir so vor, als hätte sich unsere Geschwindigkeit erheblich vergrößert. Im selben Moment hörte ich, wie Umslopogaas aufschrie, und eine Sekunde später kam ein Geräusch, wie wenn Zweige auseinandergeschoben würden. Es wurde mir bewußt, daß das Kanu durch herunterhängende Büsche oder Ranken trieb. Noch ein paar Sekunden, und dann strich mir eine Brise würziger, kühler Luft über das Gesicht, und ich spürte, daß wir aus dem Tunnel
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