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Alle Toten fliegen hoch: Amerika

Alle Toten fliegen hoch: Amerika

Titel: Alle Toten fliegen hoch: Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
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setzten sich wie Sphinxen, links und rechts, neben seinen Stuhl und sahen mich an. Sie hechelten nicht, sie sabberten nicht, sie blinzelten nicht. »I am very happy to welcome you in my house!« »Yes, thanks for the invitation, coach!« »Oh, I am not your coach anymore, boy. Basketballseason is over and this is a private meeting!« »Yes, no more Basketball right now. I am so sorry about that, coach!« »Don’t call me coach all the time. I am Travis!« Er reichte mir die Hand, mit so einem angedeuteten Druck, der sagte: Wenn ich wollte, könnte ich dir jeden deiner Fingerknöchel zu Matsch zerdrücken. Dann stand er auf und fragte: »Want some coffee?« Ich nickte. Seine lautlosen Schäferhunde folgten ihm. Ich entdeckte Abdrücke ihrer Pfoten im Teppich, exakt an der Stelle, wo sie neben ihm gesessen hatten. Ich sah mich im Zimmer um. Geweihe an den Wänden. Großformatige Ölbilder von Wildtieren, Hirsche und Bären. Signiert mit: Travis Carter. Ein mit Naturstein ummauerter Kamin. Carter kam zurück aus der Küche. Trug er sein Haar länger? Seine Jeans verwirrte mich. Bei mir zu Hause nannte man das Hochwasserhose. Er sah aus wie jemand, der gefeuert worden war oder gekündigt hatte. Wir tranken unseren Kaffee und er stellte mir seine Hunde vor: »This is Odin, and this is Wotan!« Und dann sagte er in seinem bemüht scharfkantigen Deutsch: »Ik liebe deutsches Schaferhunde!« Ich antwortete: »Oh yes. We also have a dog in Germany. It’s a very rare race, called Landseer.« »Landser? Sounds good!« »No, no. Landseer!« »Never heard of that before. Come on, boy, I’ll show you the house. The dogs live in the cellar.« Wir gingen in den Keller. Coach Carter sagte: »Watch your head!« Gebückt betraten wir einen niedrigen Raum, in dem mit dickem Draht inklusive Drahttüren zwei Käfige abgetrennt waren. In den Käfigen standen Näpfe, lagen zerbissene Spielzeuge, zerfetzte Gummihühner und überdimensionierte Knochen aus Schweinsleder. Im ersten Stock führte mich Coach Carter durch vier Zimmer. Ein Jagdzimmer. Bärenfelle an den Wänden und sogar ein Löwenfell auf dem Boden, auf das sich zielstrebig die Schäferhunde legten. An einem Balken hingen an schmiedeeisernen Haken Ferngläser und olivgrüne Kleidungsstücke. Er öffnete einen Schrank, in dem mehrere auf Hochglanz polierte Gewehre standen. Während Coach Carter – niemals würde ich ihn Travis nennen können – auf den Balkon trat, sah ich mir die Fotografien an. Immer dasselbe Motiv. Coach Carter steht oder kniet vor einem niedergestreckten Tier. In der einen Hand hält er die Waffe, die andere liegt groß, besitzergreifend, aber voller Anerkennung, auf der erlegten Beute. In einer savannenartigen Umgebung kniet der Coach hinter einem stattlichen Löwenmännchen. Es schien derselbe Löwe zu sein, der nun ausgebreitet als Läufer und Lieblingsplatz der Hunde auf dem Boden lag. Dieser Mann, dachte ich, hat größere Pranken als ein Löwe! Er rief mich zu sich auf den Balkon hinaus. »During the winter«, sagte er, »the bears are coming all the way down from the mountains. Last year I shot one right here from the balcony!« Er stützte sich mit den Händen auf dem Balkongeländer ab, beobachtete die Umgebung. Im Holz des Geländers waren unzählige Brandkreise, wie von ausgedrückten Zigaretten. Man konnte auf diesem Balkon um das ganze Haus herumgehen wie auf einem Wachturm.
    Im nächsten Zimmer ein Basketballarchiv und der größte Fernseher, den ich je gesehen hatte. Zeitungsartikel, Fotografien, Plakate. Von allen Seiten sah mich Coach Carters jugendliches Gesicht an. Er springt und fliegt und jubelt und reckt die Fäuste. Er legte eine Videokassette ein: »I prepared something for you!« Eine Stunde lang durfte ich mir seine schönsten Körbe ansehen. Dadurch, dass in schneller Folge Korbwurf an Korbwurf geschnitten war, Korbleger, Tempogegenstöße, Dreipunktewürfe, Dunkings, erschienen Carters Fähigkeiten übermenschlich, ja irreal. Dieser Mann traf immer, egal wo er stand. Während ich fassungslos zusah, wie mein Coach pro Minute zwanzig Körbe warf, nannte er mir die Endergebnisse und Namen der jeweiligen Spiele: »Cleveland Cavaliers – Denver Nuggets 145 to 122! Carter: 28 Points.« Mein Gott, dachte ich, dieser Kerl weiß alles über sich. Pokale, Medaillen, verschiedenfarbige Trikots waren zwischen den Fotos an den Wänden befestigt. Der ganze Raum sah aus wie der Hauptsitz eines Sportvereins: eine Mischung aus Hall of Fame und

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