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Alle Toten fliegen hoch: Amerika

Alle Toten fliegen hoch: Amerika

Titel: Alle Toten fliegen hoch: Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
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Sportredaktion. Im nächsten Zimmer eine Bibliothek mit mehreren Regalen voller Bildbände über Kriege und Schlachten. Oben auf den Regalen standen Miniaturkriegsschiffe, lagen indianische Masken und Soldatenhelme. Ich las deutschsprachige Buchrücken: »Sturmgeschütz 3. Rückgrat der Infanterie« oder »Sturzkampfbomber – Focke-Wulf Fw 190 – Der Würger«. Coach Carter wies mich auf ein Bild hin: Ich sah ihn als jungen Soldaten in einem subtropischen Wald. Das Camouflage seines Kampfanzuges hob sich kaum von der Üppigkeit der Pflanzen ab. Sein scharfkantiger Kopf mit dem breiten, unverschämt selbstbewussten Grinsen schien im Blätterwerk zu schweben. »Best time of my life!«, sagte er und wir gingen weiter. Sein Schlafzimmer: ein Bett. Ein Hirschgeweih. Eine Kommode. Ein Ventilator. Mehr nicht. Das Bett sah aus wie ein Hotelbett. Keine einzige Falte. Ein Zipfel für den nächsten Gast, als kleine Aufmerksamkeit zurückgeschlagen. Wir stiegen eine schmale Treppe hinauf. Unterm Dach war ein lichtdurchflutetes Atelier. Auf einer Staffelei stand ein halb fertiger Grizzly, der mit der Pranke versuchte, einen aus einem reißenden Gebirgsbach springenden Lachs zu erwischen. Ich sagte: »This is wonderful! Coach …« »Travis!« »Äh … Travis. I didn’t know you were an artist!« »Nobody knows!« Eine Fliege setzte sich auf die Schnauze von Wotan oder Odin, ich konnte sie nicht unterscheiden, doch der Hund reagierte nicht. Ich hatte fest damit gerechnet, Carters Frau kennenzulernen. Doch hier lebte eindeutig niemand außer ihm. Aus den vom Boden bis zum Giebel reichenden Atelierfenstern hatte ich einen weiten Ausblick über das Land. Sogar unsere Siedlung war in blasser Bläue flimmernd, oberhalb von Laramie zu sehen. Er sagte »I can see your house!« und grinsend »I keep an eye on you!«. Dann wies er mit dem Finger auf markante Punkte: »Do you see over there: The old oak?« »Yes.« »And over there the rock!« »Yes.« »That’s the border of my property!« »Jesus!«, staunte ich. »That’s quite big!« Er lächelte minimal, voller Bitternis: »Yeahh, there was a time in my life when I earned lots of dollars!« »What’s that?« Ich zeigte auf etwas, das an einem der weit entfernten Zaunpfähle hing: »Oh, that’s a skunk. I nail ’em on the fence. That’s the only way to get rid of them. Keeps them away!« Tatsächlich war, wie ich jetzt zu meinem Erstaunen feststellen musste, im Abstand von etwa zwanzig Metern an jeden fünften Zaunpfahl der Kadaver eines Stinktieres genagelt. »The only smell they can’t stand is the smell of death!«, sagte Coach Carter. Er legte mir den Arm um die Schulter. »Let’s go play some ball!« Hinter dem Haus war ein Basketballplatz. In Orginalmaßen, die Netze an den Körben schienen ganz neu zu sein. Der Draht, mit dem meterhoch das Feld eingezäunt war, war derselbe, aus dem die Hundekäfige im Keller gemacht waren. Er stellte sich an die Freiwurflinie und warf. Warf und traf. Warf und traf. Zehnmal. Nur ein einziges Mal hatte der Ball minimal den Ring gestreift. Neunmal war er perfekt durch das Netz gerauscht und zurück vor Coach Carters Füße gerollt. Ich stellte mich an die Freiwurflinie. Sechs von zehn und Coach Carter sagte: »Too bad you’re leaving. Next season you would have made it in the first five! That’s for sure.« Dann spielten wir eins gegen eins. Wenn der Ball zu den Schäferhunden rollte, die wie Statuen am Spielfeldrand saßen und uns beim Spielen zusahen, sprach sie Carter auf Deutsch an: »Hallo Hunde!« oder »Braver Hund!«. Um mir eine Freude zu machen, rief er mir seine deutschen Hundekommandos zu. Mit einer Hand hielt er den Ball hoch. Ich musste versuchen, ihn zu schnappen. »Hier, lecker Knochen!«
    Auf einem Grill brieten wir uns von ihm selbst geschossene Antilopenkoteletts und rösteten Mais. Die Terrasse war von mehreren Fackeln umstellt, in die knisternd Nachtfalter flogen. Während des Essens schimpfte er über die Wisemans. Benny hätte uns die gesamte Saison verdorben und sein Bruder wäre eine Schwuchtel. Carter redete sich in Rage, biss und kaute wütend auf seinem Fleisch herum. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, und knabberte an meinem Maiskolben, wobei ich versuchte, unauffällig auf Carters Armbanduhr zu sehen, weil ich so schnell wie möglich wegwollte. Er schleuderte den Knochen von der Terrasse. Weit hinaus, in die hereinbrechende Dunkelheit. Die Schäferhunde zuckten zusammen, blieben aber sitzen. Nachdem

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