Alles bestens
herausgebracht hätte, irrt! Da brauchte es schon noch eine Frage.
»Freundin?«
»Nein!« Ich schaute ihr aufs Knie und merkte, wie ich rot wurde. Endlich hatte ich auch mal etwas Konstruktives zur Unterhaltung beigetragen. Leider konnte ich mich nicht mit dieser Aussage begnügen und sagte: »Mit meiner Freundin ist alles bestens. Sie ist Sängerin.«
Das Pferd trottete hinter uns her, am langen Zügel. Es kam mir plötzlich alt und allein vor. Man liest ja öfter solche Horrorgeschichten, dass Pferde im letzten Moment noch von einem Mädchen vor dem Schlachter gerettet werden.
Wir gingen an Paletten mit Backsteinen vorbei, an Bretterhaufen und einer zerbeulten Zementmischmaschine. Eine leere Kabeltrommel lag im Sand.
»Ich möchte auch Sängerin werden.«
»Wollen wir das nicht alle?«, sagte ich und grinste. Gleichzeitig fragte ich mich, ob es nicht besser gewesen wäre, darüber keinen Witz zu machen. Sie lachte nicht mit, schaute mich nur von der Seite an.
Wir gingen nebeneinander, warfen lange Schatten; das Mädchen, das Pferd und ich. Vor uns ragte eine kleine kahle Birke aus einem Kieselsteinhaufen.
»Wie heißt du?«, fragte das Mädchen.
»Johannes«, sagte ich. »Und du?«
Sie kniff leicht die Augen zusammen.
»Sag ich nicht.«
»Ach komm!«
Wir blieben nicht stehen.
»Warum willst du mir deinen Namen nicht sagen?«
Sie lächelte aus den Augenwinkeln heraus.
»Ich habe dir meinen doch auch gesagt.«
Sie nickte, wie ein Pferd. Mir kroch mein Herzschlag in den Nacken.
»Warum machst du so ein Geheimnis aus deinem Namen?«
»Ich weiß nicht, ob ich ihn dir zumuten kann.«
»Heißt du Elvira oder Elfriede?«
»Nein.«
»Isolde oder Kriemhild?«
»Quatsch!«
»Heißt du etwa Rumpelstilzchen?«
Sie lachte laut auf.
»Ich heiße Sandra.« Sie schaute mir voll in die Augen.
Mir war, als schüttete mir jemand Milkshake in den Kragen. Sandra! Ich hatte es geahnt! Wie viel Wunder verkraftet man eigentlich?
»Das ist doch …«, stotterte ich. »Ein … sehr schöner Name.«
»Findest du?«
Das Pferd stupste sie an, als wollte es sagen, jetzt ist es aber genug.
Sandra band das Pferd an einen Pfeiler und berührte mich am Ellenbogen, genau am Radiusköpfchen, aber es tat überhaupt nicht mehr weh. Ihre Hand war eine kleine Höhle und mein Ellenbogen passte genau hinein. Sie schob mich ein bisschen vorwärts, dann ließ sie mich los. Ich hielt meinen Arm angewinkelt, damit ich die Berührung nicht verlor. Sie ging an mir vorbei, ihr Rock wehte um ihre Knie; dann drehte sie sich zu mir und traf mich voll mit ihrem Blick. Ich bekam einen Flashback nach dem anderen, sah Sandra I , wie sie dem Schlachtensee entstieg, und spürte mein Bein, wo ich mit Sandra II zusammenwachsen wollte. Aber vor mir stand Sandra III und die matte Abendsonne ließ ihre leicht gebräunte Haut schimmern und legte ihr ein gelbes Licht auf die Haare wie einen Heiligenschein. Irgendwo brüllte ein Löwe.
Leben pur
Wir ritten durch die Prärie und die Sonne ging unter. Dann bot sie mir eine Marlboro an und ich lehnte dankend ab.
Das wär’s doch, Leute, aber so war es nicht.
Es war viel schöner. Die Sonne schien orange und wir saßen im warmen Kies. Die Birke zappelte mit den dünnen Zweigen, aus der Ferne Kindergeschrei, Tellerklappern, Autohupen. Manchmal fuhr hinter dem Bauzaun ein Touristenbus vorbei und die Meute auf dem oberen Deck reckte die Köpfe.
Wir saßen nebeneinander und hielten warme Kieselsteine in den Händen. Ab und zu rutschte eine kleine Gerölllawine unter unseren Füßen hinab. Ich hatte ihre Füße genauestens betrachtet und kannte sie schon besser als meine eigenen. Meine Zehen waren weiß und eckig und ohne Hornhaut. Mal abgesehen von den letzten zwei Tagen war ich mein Leben lang in anständigem Schuhwerk herumgelaufen, mit Socken und Einlegesohlen, um Senk-, Spreiz- und Plattfüßen vorzubeugen. Ich war froh, dass eine Dreckschicht meine unerfahrenen Treter versteckte. Ihre Füße sahen so biegsam und geschmeidig aus, als würden sie sich jeder Unebenheit im Leben anpassen, als könnten sie Baumstämme, Laternenpfähle und Kräne hochklettern. Sie legte den Kopf in den Nacken und tat so, als merkte sie nicht, dass ich ihr auf die Füße starrte.
Später, viel später gestand sie mir, ihre Füße hätten sich in meinem Blick gesonnt. Und ich hatte gedacht, sie wirft den Kopf in den Nacken, weil Frauen das in der Shampoo-Reklame auch immer tun, um ihre Haarpracht zu offenbaren – mit
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