Alles Glück kommt nie
Klopapier passend zu den Sesseln aus Toile de Jouy, wärmte sich einen Kaffee auf und stöhnte vor dem Badezimmerspiegel.
Das Lama hatte in der Nacht Farben angenommen. Ein hübsches Gemisch aus verschiedenen Lilaschattierungen, bis hinein ins Grünliche. Hatte nicht die Kraft, sich ins Gesicht zu spucken, und lieh sich Alexis’ Rasiermesser.
Rasierte, was sich rasieren ließ, und bereute es zugleich. Es machte alles nur noch schlimmer.
Sein Hemd roch nach Aas. Also zog er sein altes Krokodil an, das er als junger Mann getragen hatte, und fühlte sich seltsam glücklich. Obwohl es unförmig und abgetragen war, ganz zu schweigen vom Schwanz, der sich gelöst hatte und ziemlich fertig aussah, nein, ganz zu schweigen davon, hatte er es erkannt.Es war ein Geschenk von Edith gewesen. Ein Geschenk aus einer Zeit, als sie sich noch Geschenke machten. Damals hatte sie gesagt, ich habe ein weißes gekauft, weil du so konventionell bist, und fast dreißig Jahre später war er ihr für ihre bescheuerten Prinzipien dankbar. Bei dem Teint, den er heute zur Schau stellte, hätte jede andere Farbe weniger – gut gepasst.
Er läutete mehrmals bei der Nachbarin mit dem grünen Zaun, keine Reaktion. Wagte nicht, den Schlüsselbund bei einer anderen abzugeben (fürchtete Corinnes Zorn!), und beschloss, einen Abstecher in die Schule zu machen.
Es ging ihm ein wenig gegen den Strich, Alexis am helllichten Tag gegenüberzutreten. Ihm wäre es lieber gewesen, sich an die letzten Töne von gestern Abend zu halten und seinen Weg ohne ihn fortzusetzen ... tröstete sich aber mit der Vorstellung, dass er Lucas und die hübsche Marion in die Arme schließen dürfte, bevor er sie für immer aus den Augen verlor.
*
Gegenüber der Kirche war zwar richtig, es war aber die weltlichste Schule der Welt.
Eine Schule im Stil des Ordensbekämpfers Jules Ferry, vermutlich in den dreißiger Jahren erbaut, die Jungen- und Mädchentrakte symmetrisch zueinander angeordnet, wie unter den verschlungenen Buchstaben R und F in Stein gemeißelt zu lesen war, mit einem echten Vorbau, dessen Wände auf Höhe der Tritte und der von Kreide gebleichten Kastanienbäume in Flaschengrün gestrichen waren. Wasserunlösliche Himmel-und-Hölle-Felder (das war bestimmt weniger witzig) und Falten im Teer, sehr zur Freude aller Murmelspieler.
Ein sehr schönes Backsteingebäude, gerade, streng, republikanisch , trotz der Luftballons und Lampions, mit denen man es an diesem Tag herausgeputzt hatte.
Charles bahnte sich einen Weg und nahm dabei die Arme hoch, um den Horden von Kindern auszuweichen, die durcheinanderrannten. Nach dem Schokoladenkuchen und dem Lagerfeuergeruch fand er eine Schulfeststimmung wie bei Mathilde vor. Versehen mit einem etwas ländlichen Touch. Opis mit Mützen und Omis mit moltongefütterten Hosen ersetzten die eleganten Damen des 5. Arrondissements, und es gab auch keine Stände mit Biosandwiches, dafür aber ein echtes Spanferkel, das ein Stück entfernt vom Gebäude briet.
Das Wetter war schön, er hatte mehr als zehn Stunden geschlafen, die Musik war fröhlich und der Akku seines Handys leer. Er steckte es zurück in die Tasche, lehnte sich an ein Mäuerchen und genoss das Spektakel beim Geruch der Zuckerwatte und dem Duft des Ferkels in vollen Zügen.
Tatis Schützenfest.
Fehlte nur noch der Postbote.
Eine Frau hielt ihm einen Plastikbecher hin. Er bedankte sich mit einem Kopfnicken, als wäre er ein Fremder und zu desorientiert, um sich an seine ersten französischen Worte zu erinnern, nahm einen Schluck des ziemlich undefinierbaren trocken-herben Getränks, hielt seine Wunden in die Sonne, schloss die Augen und dankte der Nachbarin, dass sie ihm den Schlüssel zu seinem Glück gelassen hatte.
Die Hitze, der Alkohol, der Zucker, der hiesige Akzent, das Kindergeschrei, sanft wiegte er den Kopf hin und her. »Schläfst du immer noch?«
Er brauchte die Augen nicht zu öffnen, um die Stimme seines allerbesten Mitspielers zu erkennen.
»Nein. Ich nehme ein Sonnenbad.«
»Tja, ich würde dir raten, es lieber zu lassen, du bist nämlich schon ganz braun!«
Er senkte den Kopf: »Huch! Du bist ja als Pirat verkleidet?«
Zustimmung unter der schwarzen Augenklappe.
»Und du hast keinen Papagei auf der Schulter?«
Der Greifarm fiel wieder herab: »Äh, nein.«
»Sollen wir meinen Vogel holen?«
»Und wenn er wach wird?«
Obwohl er großenteils von Nounou erzogen worden war, vielleicht auch gerade deswegen, war
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