Alles total groovy hier
einem Laternenpfahl vor Augen gehabt, fasste ich wieder Fuß in der Normalität. Auch wenn's schwerfiel.
Ein Mittfünfziger in T-Shirt, Weste, Shorts und Sandalen kam angewatschelt, wechselte ein paar Worte mit Rodriguez, setzte dann die Uniformmütze auf, die er bis dahin unterm Arm gehalten hatte, und wandte sich kurz, kühl, sachlich und unmissverständlich an Roman.
Ich blickte fragend.
»Der Hafenmeister sagt, ich habe achtundvierzig Stunden, das Boot vom Kai zu holen. Danach beschlagnahmt es die Küstenwache und lässt es verschrotten.«
Der Hafenmeister ging grußlos, nach einem flüchtigen Blick auf den zur Hälfte weggerissenen Schädel des Toten, und die Guardia Civil nahm uns ins Gebet. Die Explosion hatte sich morgens gegen 4:30 Uhr ereignet, und selbstverständlich wurden Roman und ich nach unseren Alibis befragt. Roman gab an, bei seiner Frau im Bett gelegen zu haben, und als ich dran war, spürte ich Capitan Rodriguez' bohrenden Blick auf mir und sein intensives Interesse an der Frage, mit wem und in wessen Bett ich die Nacht verbracht hatte. Prächtige Gelegenheit, ihm eins reinzuwürgen, doch die Wahrheit war, dass ich um diese Uhrzeit längst in meiner Koje im Hymer gelegen hatte. Nur zur Untermauerung gab ich einen gewissen Pierfrancesco Scuzzi als Zeugen an. Das wurde peinlichst genau notiert, und dann kamen noch ein paar Fragen, die Roman samt und sonders besser beantworten konnte als ich. Fertig mit dem Verhör, ließen die beiden Gardisten noch durchblicken, dass sie weder mir noch dem Zigeuner auch nur ein Wort glaubten, aber das machen sie immer, alle, überall.
Der Kranwagenfahrer packte seine Gurte ein und ließ sich von Roman bezahlen. Der schon bekannte graue Transporter setzte rückwärts heran, Hidalgos Leiche wurde aus dem Boot geborgen, in einen Zinksarg gelegt und weggefahren.
Und das war's.
»Wie«,sagte ich zu Roman, kaum dass uns die Offiziellen verlassen hatten, »das war schon alles?«
Er sah mich an. »Natürlich nicht. Es wird eine aufwendige Untersuchung geben. Ich denke mal, die Kriminalisten werden sich darauf einigen, dass das Opfer tot ist. Ursache: Gewalteinwirkung auf den Kopf. Der Täter kam vermutlich aus dem ethnischen Umfeld und wird deshalb wohl wie gewöhnlich niemals ermittelt werden können. Und dann kriegen wir den Toten zurück, minus ein paar wichtige Organe, und können ihn beerdigen. Fertig.«
»Wie,minus ein paar wichtige Organe?«
»Frag nicht. Nur die >SinPapeles( haben hier noch weniger Rechte als wir Zigeuner.«
»Sin Papeles?«
»Die >OhnePapiere<. Die Schwarzen. Die Boatpeople.«
»Diejenigen, die es lebend an Land schaffen«, sagte ich und dachte an die Schnittwunden im Rücken des toten Negers und daran, was Roxanne dazu gesagt hatte.
»Ja. Die, die vorher der Küstenwache begegnen, haben diese Sorgen nicht mehr.«
Leute sterben auf offener See, umgeben von Wohltätern. Schuld sind immer die anderen. Ich wusste nicht mehr, wem oder was ich hier glauben sollte.
»Kannst du mir jetzt mal verraten, wieso ihr mich gerade beinahe gelyncht hättet?«
Er seufzte. »Du hast Hidalgo hier gesehen, gestern. Und heute ist er tot. Zufall?«
Das fragte ich mich im Stillen auch. Durchforstete mein Gedächtnis und war mir verhältnismäßig sicher, niemandem davon erzählt zu haben. Nein, ich war mir si- cher. Das Einzige, das ich erwähnt hatte, war Romans Anlandung des toten Flüchtlings gewesen.
»Ich konnte doch bestenfalls mutmaßen, dass es sich um Hidalgo handelt. Wo ist übrigens das Geld geblieben, das er Schisser abgezogen hat?«
»Sag du mir lieber mal, wo Schisser ist. Wie hast du das gemeint, ich müsse doch so gut wie du wissen, dass er tot ist?«
»Dein Kumpel zieht meinen Kumpel ab. Der rächt sich, will sein Geld zurück, droht, und verschwindet dann plötzlich spurlos. Zufall?«
»Ah,verflucht. Wenn ihr Hidalgo nicht umgebracht habt, und wir nicht Schisser, wer war es dann?«
»Woist seine Leiche, will ich wissen. Wo sein Motorrad. Wo das Geld.«
»Das Geld, das er Hidalgo gegeben hat, ist weg«, sagte Roman knapp. »Spielschulden.« Damit drehte er sich zu seinem Boot, besah leise fluchend den Schaden, riss hier und da einen Splitter ab, ratlos, resigniert.
»Hast du eine Ahnung, wie viel das war?«
»Zehn.«
Dann mussten also noch Hundertsiebzigtausend irgendwo gebunkert sein.
»Was passiert jetzt mit deinem Schiff?«
»Du hast den Hafenmeister gehört. Ich habe zwei Tage und zwei Nächte Zeit, jemanden zu finden,
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