Alraunes Todeskuß
er sah die Zähne wie lange Messer, und er merkte, wie es in seinem Innern anfing zu kochen und die Beziehungen zwischen ihm und diesen Visionen sich verstärkten. Aus den taumelnden Schatten tauchte auch er auf, noch immer in seinem Auto sitzend, aber nicht mehr normal fahrend.
Sein Gesicht war verzerrt. Die Hände umklammerten das Lenkrad. Aus seinem Mund strömte Dampf, und der Ausdruck der Augen erinnerte an ein Reptil.
Der Weg war frei.
Er fuhr an.
Er gab Gas, er raste, er nahm keine Rücksicht. Er sah die Menschen, wie sie vor seinem Fahrzeug wegliefen, er sah, wie ein kleiner Wagen durch die Luft wirbelte, aufprallte und in eine breite Schaufensterscheibe rutschte, und er spürte plötzlich eine wilde, unkontrollierte Freude in sich aufsteigen.
Ein schriller Hupton und das Klopfen an der Scheibe rissen ihn aus seinen Visionen hervor.
Er drehte den Kopf.
Daß er blutunterlaufene Augen hatte, fiel ihm nicht auf. Wohl dem Mann, der gegen die Scheibe geklopft hatte. »Schläfst du?« brüllte er. »Fahr weiter, der Stau hat sich aufgelöst.«
Morton nickte.
Der andere verschwand, deshalb sah er das Grinsen nicht auf dem Gesicht des jungen Mannes. Morton drehte den Zündschlüssel. Der Weg vor ihm war frei.
Wieder dachte er an seine Visionen, an die Bilder des Chaos, und sein Lachen hörte sich an wie ein Knurren.
Sie kehrten zurück, er freute sich auf sie, und der Wagen schoß vor wie eine Rakete.
Morton war nicht mehr zu halten. Alraunes Todeskuß trug seine grausamen Früchte…
Die Tänzerin Maria Anzaro wohnte in einem Hotel der Mittelklasse. Wir hatten sie vom Wagen aus angerufen und mit ihr ein Gespräch verabredet. Dazu wollten wir uns in der Hotelhalle treffen, die an diesem Vormittag ziemlich leer war, leider auch düster, so daß sich ein Gast hier kaum wohl fühlen konnte. Hinter der Rezeption stand ein älterer Mann und sortierte die Post. Er schaute kaum auf, als wir das kleine Hotel betraten.
Maria hatte Wort gehalten. Sie saß in der Halle und trank Kaffee. In ihren weißen Jeans und dem roten Pullover mit V-Ausschnitt wirkte sie auf uns ziemlich fremd. Als sie uns begrüßte, wurde ihr Lächeln von der Furcht vor der Ungewißheit getrübt.
»Setzen Sie sich bitte. Auch einen Kaffee?«
Weder Suko noch ich wollten.
Maria schlug die Beine übereinander und lächelte, als sie meinen Gesichtsausdruck sah. »Sie fühlen sich nicht wohl hier, John.«
»Stimmt. Ich sitze zu tief und auch zu weich.«
»Nun ja, es ist kein Haus der Oberklasse, aber es läßt sich aushalten. Ich wohne hier für die Zeit meines Engagements.« Sie räusperte sich und kam zum Thema. »Sie haben meinen Bruder gesehen?«
»Das haben wir.«
»Und was sagen Sie?«
»Daß er tot ist, wissen Sie, Maria. Aber es hat noch einen zweiten Toten gegeben.«
»Wie?«
»Während seines Dienstes hat sich ein Mitarbeiter des Krankenhauses umgebracht.« Ich ging nicht auf Einzelheiten ein, sondern erklärte ihr statt dessen, wo der Mann seinen Arbeitsplatz gehabt hatte.
Maria schwieg. Sie überlegte sich die Antwort genau und schaute dabei in die Kaffeetasse, als würde sich auf der Oberfläche die Lösung allmählich abzeichnen.
»Glauben Sie denn, daß die beiden Vorgänge miteinander in Verbindung stehen?«
»Wir wissen es nicht.«
»Nehmen es an«, sagte Suko.
Maria räusperte sich. Mit einer Serviette tupfte sie über ihre Lippen und lehnte sich zurück. »Wie kommen Sie dazu, daß es so sein könnte?«
»Das mag an Ihrem Bruder gelegen haben«, erwiderte ich und lächelte etwas müde, als ich ihren erstaunten Blick sah. »Wir haben uns die Leiche Ihres Bruders genau angeschaut. Nicht allein, sondern zusammen mit einem Arzt. Er zeigte sich betroffen, denn durch ihn sind wir praktisch erst auf diese Vermutung gekommen. Der Mund ihres Bruders stand so weit offen, daß die Mundwinkel bereits eingerissen waren.«
Sie hörte zu, nickte und stellte trotzdem noch eine Frage. »Was haben Sie daraus gefolgert?«
»Wir zuerst nichts«, sagte Suko. »Der Arzt brachte uns auf die Idee. Er ging davon aus, daß diese Veränderung des Mundes durch eine Gewalteinwirkung geschehen ist.«
»An der Leiche?« Maria saß da, als wollte sie weglaufen, und sie hatte den Mund verzogen.
»Ja.«
»Wer tut so etwas?«
Diesmal redete ich. »Abgesehen davon, daß es auf der Welt nichts Schlimmeres gibt als den Menschen, möchte ich Ihnen sagen, zu welch einem Entschluß der Arzt gelangt ist.«
»Da bin ich gespannt.«
»Er war der
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