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Als Mrs Simpson den König stahl

Als Mrs Simpson den König stahl

Titel: Als Mrs Simpson den König stahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Nicolson
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sich, die Realität der deutschen Bedrohung zur Kenntnis zu nehmen. Die vor allem von Premierminister und Schatzkanzler Neville Chamberlain vertretene Idee, Hitlerdeutschland zu »beschwichtigen«, ein Land, das über die Härte der Bestrafung, die es am Ende des Ersten Weltkriegs erlitten hatte, noch immer zutiefst erbost war, kam ihm kurzsichtig und, gelinde gesagt, unrealistisch vor. Und nach dem schrecklichen Wortwechsel bei jenem Abendessen in Bryanston Court zu urteilen, schien der neue König ebenso daran beteiligt, die Wahrheit auszublenden, wie alle anderen auch. Einigen privaten Bemerkungen, die Evangeline gelegentlich in Cuckmere mit ihm austauschte, hatte Julian sogar entnommen, dass führende Mitglieder der NSDAP mitunter zu Cocktails in Wallis' Wohnung eingeladen wurden, wenn auch der König zugegen war.
    Evangeline hatte sich angewöhnt, ihm mit belegter Stimme Häppchen sensibler Informationen ins Ohr zu flüstern und ihn zugleich anzuflehen, diese Vertraulichkeiten unbedingt für sich zu behalten. Und obwohl Julian die Art und Weise, wie er diese Informationen erlangte, abschreckend fand und sich darüber ärgerte, dass Evangeline unweigerlich immer dann in der Bibliothek aufkreuzte, wenn er sich allein darin aufhielt, faszinierten ihn doch die Mitteilungen, die er von ihr erhielt. Sie machte es sich zur Angewohnheit, auf dem Sofa so dicht an ihn heranzurücken, dass ihm ein nicht unangenehmer Schokoladenduft in die Nase stieg, legte ihre Hand auf sein Knie und zischte: »Wie schön, dass wir einen Augenblick allein sein können. Ich muss Ihnen etwas sagen.«
    Der ausführliche Klatsch, den sie ihm über das Leben in Fort Belvedere auftischte, bis hin zur Speisenfolge, interessierte ihn
weit weniger als ihre unbeabsichtigten Enthüllungen über die Heuchelei des Königs. Der Eindruck, den er der Mehrheit der Briten vermittelte: dass ihr Wohlergehen ihm mehr am Herzen liege als sein eigenes, war eine Lüge, die Julian erzürnte. Ganz offensichtlich kümmerte sich der König nur um eine einzige Person, und die war nicht einmal Britin. Voltaires zweihundert Jahre alte Einschätzung Louis' XV . – Les rois trompent toujours leur peuple  – passte haargenau zu dem neuen britischen Monarchen, dachte er.
    Das vorherrschende Aphrodisiakum, das sein eigenes Leben beherrschte, folgerte Julian, als er auf der schmutzigen Matratze in Wigan sein Gewicht verlagerte, war der Sozialismus. Freundschaften mit Männern, mit Frauen, sogar mit potenziellen Geliebten, besonders Lottie, kamen erst an zweiter Stelle. Manchmal zweifelte er daran, ob er jemals richtig geliebt hatte. Vergangene Woche hatte er wieder einmal ein unbehagliches Mittagessen in der Londoner Wohnung seiner Mutter über sich ergehen lassen müssen. Angesichts des aufgewärmten Rindfleischeintopfs, zu dem es einen Klacks lauwarmen, klumpigen Kartoffelbrei gab, schwor er sich zum tausendsten Mal, diese Erfahrung nie mehr zu wiederholen. Der lächerliche Prunk von Mrs Richardsons Esstisch mit dem weißen Spitzentuch, den dicken Leinenservietten und den Mohren aus Ebenholz, die kleine Salznäpfchen in die Höhe hielten, stand in einem eklatanten Widerspruch zu dem Niveau der Speisen, die darauf serviert wurden. Gestern hatte Julian voller Erleichterung festgestellt, dass das Schmalzfleisch fehlte, das gewöhnlich auf dem Tisch stand. Dem üblichen Verhalten seiner Mutter nach hatte er damit gerechnet, dass sie ihm eine Scheibe von diesem Zeug, das ganz bestimmt Katzenfutter sein musste, anbieten würde, einer ihrer vorhersehbaren Versuche, bei den Besuchen ihres Sohnes Einsparungen vorzunehmen.
    »Ein bisschen Pâté, Liebling?«, fragte sie jedes Mal, wenn sie sich zu ihrer scheußlichen Mahlzeit setzten, während in
ihrer kleinen Zigarettenspitze, die ebenso unweigerlich in ihrem Mund steckte wie ein Stück Käse in einer Mausefalle, ein Glimmstängel vor sich hin qualmte.
    Die Atmosphäre im Wohnzimmer war noch schlimmer als die im Esszimmer. Der affektierte gehäkelte Antimakassar, der über die Rückenlehne des Sessels drapiert war, die Du Maurier, an der sie angeekelt paffte, als blase sie in eine Art Atemschutzgerät, und ihre antisemitischen, klassenbesessenen Gesprächsthemen verbanden sich auf eine Weise, dass Julian hätte losschreien können.
    Hin und wieder, wenn er in Cuckmere zu Besuch war, hatte er die Köchin hinter Mrs Cages Rücken murmeln hören, dass diese »Allüren weit über ihre gesellschaftliche Stellung hinaus« an den Tag

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