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Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Titel: Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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tun.
    Ich habe mich gleich ins Bett gelegt, als ich aus England zurückkam. J. hat mich nach Hause gefahren. Ich wollte nicht, daß sie mit reinkommt. Sie hat im Auto gewartet, bis sie gesehen hat, daß Mama mir öffnet, dann ist sie weggefahren. Mama wußte über alles Bescheid, denn J. hatte sie noch von England aus angerufen. Mama sah so schlecht aus, ganz blaß und total geschockt.

    »Warum ist sie denn gleich weggefahren?« fragte sie, und ich sagte, daß ich das so gewollt hätte.
    Mama seufzte. »Warum haßt du sie so? Sicher geht es der armen Frau jetzt auch ganz schlecht.«
    Wenn sie wüßte, wie scheißegal mir das ist. Im Gegenteil. Wenn es J. schlechter ginge, würde es mir bessergehen.
    Als ich im Bett lag, habe ich Fieber gekriegt. Ziemlich hohes. Ich habe dauernd Bilder vor mir gesehen. Papa. Vor allem Papa. Papa mit durchgeschnittener Kehle. Er war voller Blut. Alles war voller Blut, das Haus, der Park, und überall lagen Tote. Ich habe geschrien. Manchmal kam jemand an mein Bett, ich konnte sein Gesicht nicht erkennen. Mama hat mir dann später gesagt, daß das ein Arzt war, der hat mir Spritzen gegeben, gegen das Fieber und zur Beruhigung.
    Als das Fieber weg war, war über eine Woche vergangen. Papa war beerdigt worden, und ich hatte nicht hingehen können. Mama ist auch nicht da gewesen. Sie sagt, sie habe J. nicht stören wollen. Was haben die nur immer alle mit J.? Als ob sie eine Prinzessin auf der Erbse wäre! Ich bin nicht traurig, daß ich nicht dort war. Ich hätte J. nicht begegnen wollen, und außerdem ist Papa ganz bei mir.
    Die ganze Zeit meinte Mama, ich müßte aufstehen und wieder in die Schule gehen, aber ich stand einfach nicht auf. Sie konnte reden, was sie wollte. Natürlich fing sie an, ich müßte zu einem Seelenklempner, ich hätte einen Schock, ein Trauma, und das müßte behandelt werden. Nein, vielen Dank! Ich habe Tim gekannt. Wenn ich mir vorstelle, einer wie Tim sitzt mir gegenüber und glibbert mich an und will wissen, wie ich zu meinem Vater stand und ob ich ein Problem mit J. habe und ob ich Patricia mochte - da wird mir speiübel! Ich habe Mama gesagt, daß sie sich auf den Kopf stellen kann, aber sie kriegt mich nicht zu einem Psychodoc. Ich weiß, daß Evelin bei einem war. Sie hat von Stanbury aus ein paarmal bei ihm angerufen. Und - hat es etwas genützt? Sie wurde dicker und fetter und heulte sich die Augen
aus. Und jetzt sitzt sie auch noch im Knast. Daß es ausgerechnet an ihr hängenbleiben mußte, tut mir echt leid. Aber so ein Unglückswurm zieht das Unglück an. Das ist immer so. Wer schon in der Kacke steckt, kriegt garantiert immer noch eine Ladung dazu. Das ist eben Evelins Schicksal. Mit und ohne Psychiater.
    Mama war total erleichert, als ich heute aufgestanden bin. Ich hab nicht groß was gemacht, in meinem Zimmer gesessen und Musik gehört und an Keith gedacht. Warum schreibt er nicht, warum ruft er nicht an? Er hat vielleicht viel zu tun mit dem Hof. Ob er jetzt Schaffarmer wird, was er doch nie wollte? Aber ich lebe auch auf einer Schaffarm mit ihm. Ich würde überall mit ihm leben. For better, for worse, for richer, for poorer, in sickness and in health. Ich hab ihm das tausendmal schon geschworen in Gedanken. Wenn wir heiraten, ist das nur noch eine Formalität. Ich möchte es trotzdem gern, ganz bald, wenn ich sechzehn bin. Ich möchte Mrs. Keith Mallory sein. Mein Leben wird ein anderes sein. Mein altes Leben wird es nicht mehr geben.
    Ich habe vorhin mit Mama Tee getrunken. Es ist Samstag, sie war bei irgendeiner Fortbildung, kam aber früher nach Hause als unter der Woche. Sie fing wieder vom Psychiater an, das hab ich ihr gleich abgeschmettert. Dann fragte sie, wann ich wieder zur Schule gehen wollte. Ich sagte, ich weiß nicht. Das stimmt nicht. Ich weiß es schon. Ich gehe gar nicht mehr zur Schule. Ich warte, bis ich sechzehn bin in ein paar Wochen, und dann fahre ich zu Keith. In England kann man mit sechzehn heiraten. Ich werde Mama dann von England aus einen Brief schreiben und ihr alles erklären.
    Beim Teetrinken seufzte sie andauernd, und ihre Augen waren mal wieder rot. Ich hab immer gewußt, daß sie Papa noch liebt, und er sie auch. Die Scheidung war eine Dummheit, und wäre J. nicht aufgetaucht, hätten sie das längst in Ordnung gebracht. Ich wollte Mama sagen, daß J. ein kleines Miststück im Bauch hat, das sie Papa abgeluchst hat, aber ich brachte es nicht fertig, ihr so weh zu tun.

    Oder eigentlich brachte ich es nicht

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