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Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Titel: Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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sondern alles nur schlimmer machten. Sie wartete ein paar Sekunden, bis der schlimmste Schwindel abebbte, dann stieg sie die Treppe hinauf. Es war schwierig, sie hatte Mühe, die Füße richtig zu setzen. Manchmal kamen Stufen auf sie zu, manchmal wichen sie vor ihr zurück. Noch ein paar Minuten, mutmaßte sie, und sie würde kollabieren. Sie würde ohnmächtig werden. Aber vielleicht wäre dies nicht das Schlechteste. Einzuschlafen und beim Aufwachen festzustellen, daß sie nur einen bösen Traum gehabt hatte.
    Sie erreichte die Galerie, lehnte sich einen Moment lang schwer atmend gegen das Geländer. Sie spürte Stiche in der Seite. Der Schweiß überschwemmte sie in Wellen. Es gab nicht einen trockenen Faden mehr an ihrem Leib.
    »Alexander!« krächzte sie.
    Sie stieß die Tür zu ihrem Schlafzimmer auf. Es war leer. Das Bad dahinter ebenfalls.
    Sie lief wieder hinaus, versuchte es im nächsten Zimmer. An den Wänden überall die gerahmten Familienbilder von Patricia, Leon und den Kindern. Lächeln, lächeln, lächeln. Patricia,
die fleischgewordene Zahnpastareklame. Sie würde nie mehr lächeln. Die Familie würde es so nicht mehr geben. Lebte Leon noch? Was war mit Diane und Sophie?
    Der Gedanke an die Kinder ließ sie erstaunlicherweise ruhiger werden. Etwas von der Hysterie, in die sie die Aussicht, Alexander könnte tot sein, gestürzt hatte, verflog. Sie mußte nach den Kindern sehen. Wenn sie noch lebten, durften sie keinesfalls ihre Mutter da draußen in der Schaftränke finden. Es würde sie traumatisieren bis ans Ende ihrer Tage.
    Niemand im Zimmer, niemand im Bad. Der nächste Raum. Tims und Evelins Bett war noch zerwühlt, Tims Schlafanzug lag zusammengeknäuelt auf dem Fußboden. Tim, der unten in der Küche in seinem Blut schwamm. Sie schob das Bild sofort wieder weg. Sie brauchte jetzt ihre Nerven, zumindest den kläglichen Rest, der davon noch übrig war.
    Sie kletterte die Stiege zum Dachboden hinauf. Es war einfacher als vorher bei der Treppe. Offensichtlich kehrten langsam ihre Lebensgeister zurück.
    Ricardas Zimmer war leer. Das Mädchen war seit dem frühen Morgen verschwunden, und dies empfand Jessica mit einemmal als sehr beruhigend. Was immer hier geschehen war, Ricarda war dem Grauen mit einiger Sicherheit entgangen. Nach der Szene vom Vorabend war sie vermutlich mit ihrem Freund durchgebrannt und trampte mit ihm durch die Lande. Dem Himmel sei Dank dafür!
    Als sie in das Zimmer der Schwestern trat, dachte sie im ersten Moment, Diane liege auf dem Bett, und alles sei in Ordnung. Doch dann kam sie näher und bemerkte das Blut, das die Bettwäsche tränkte, und sie sah, daß Diane mit dem Gesicht auf den aufgeschlagenen Seiten eines Buches lag. Sie griff nach dem kalten Handgelenk des Mädchens und fühlte den Puls, wußte aber schon vorher, daß sie tot war. Kein Puls mehr. Diane hatte bäuchlings auf ihrem Bett gelegen und gelesen, jemand war von hinten gekommen und hatte ihr die Kehle durchgeschnitten.

    »Jesus«, murmelte Jessica, und dann drehte sie sich ganz schnell, bevor die Panik übermächtig werden konnte, zu dem anderen Bett um, gefaßt darauf, dort die Leiche der kleinen Sophie zu finden, doch das Bett war leer. Keine Spur von Sophie.
    »Sophie?« fragte sie. Sie hatte in normaler Lautstärke sprechen wollen, aber es kam nur ein Flüstern. »Sophie, bist du hier irgendwo?«
    Sie meinte, einen Laut zu vernehmen. Ein Jammern. Ganz leise nur und kläglich, so als miaue eine kleine Katze. Es kam aus dem winzigen Bad, das zwischen den Zimmern der Schwestern und Ricardas lag. Sie trat in die Diele, zog die Tapetentür auf, hinter der ein findiger Geist eine Toilette, ein winziges Waschbecken und eine schmale Dusche installiert hatte, das alles unter schrägen Wänden und unter einer alten Dachluke, die sich immer nur schwer öffnen ließ und zugleich nicht richtig schloß. Unterhalb der Luke klebten ein Pferdeposter an der Schräge, und daneben ein Bild der No Angels . Bei den Angels hatte sich an der Unterseite der Tesafilm gelöst, so daß sie halb herunterbaumelten. Fast berührten sie Evelins Haare. Evelin saß auf dem Deckel der Toilette, gehüllt in ihren schwarzen Rollkragenpullover. Sie hatte Blut im Gesicht, an den Händen, auf ihrer Hose. Wahrscheinlich auch auf dem Pulli, aber das konnte man nicht sehen. Ihre Augen waren weit aufgerissen. Hin und wieder stieß sie einen der leisen Klagelaute aus, die Jessica von nebenan gehört hatte.
    Sie war vielleicht verletzt. Aber

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