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Am Ende eines Sommers - Roman

Am Ende eines Sommers - Roman

Titel: Am Ende eines Sommers - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Ashdown
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täuschen. Wir waren vor dreißig Jahren auf Klassenfahrt dort.« Er grinst mich an. Ich sitze ihm gegenüber.
    »Und hat es hier richtige Schlachten gegeben?«, fragt Andy weiter.
    »Natürlich. Im Laufe der Jahre ist sie ein paar Mal wieder aufgebaut worden. Das muss eine Schweinearbeit gewesen sein, all diese Steine ohne Maschinen an ihren Platz zu bringen. Und Wasserwaagen gab’s damals wahrscheinlich auch nicht. Aber ich wette, sie hatten billige Arbeitskräfte. Einen Haufen Bauern und Sklaven und so.«
    Die Burg verschwindet, und der Zug hält im Bahnhof Arundel, wo ein einziger Fahrgast einsteigt. Es ist eine alte Frau, vielleicht hundert Jahre alt, und sie geht im Schneckentempo am Zug entlang, um in einen der Wagen weiter hinten zu steigen. Sie ist genau die Sorte Mensch, die man in Arundel erwartet, mit ihrem kleinen Strickhütchen und dem knotigen Spazierstock. Wo fährt so eine kleine alte Lady wohl allein hin? Vielleicht auch nach Brighton.
    Je weiter wir von zu Hause weg sind, desto weicher und küstenmäßiger klingen die Ortsnamen. Goring-by-Sea, West Worthing, Worthing, Shoreham-by-Sea, Portslade-by-Sea, Hove. Und irgendwie sieht auch das Licht am Himmel anders aus; es ist weiter, heller und einfach mehr.
    »Okay, zieht eure Jacken an«, sagt Mum in Hove. »In zwei Minuten sind wir in Brighton.« Sie hat ihre Jacke schon zugeknöpft und hält die Handtasche auf dem Schoß, bereit, aus dem Zug zu springen, sobald der hält.
    Dad hat nur ein T-Shirt an und hält ein Sweatshirt in der Hand. Lächelnd sieht er Mum an; sie sitzt neben mir und schaut aus dem Fenster. Langsam erreichen wir den letzten Halt in Brighton, diesen großen, hochgewölbten viktorianischen Bahnhof, wo unter den Dachträgern Tauben flattern und Hunderte von Leuten auf den vielen Bahnsteigen umeinanderwuseln.
    »Okay, habt ihr eure Tickets? Andy? Jake?« Mum zieht die Brauen zusammen.
    Wir wedeln damit.
    »Bleibt zusammen, bis wir aus dem Bahnhof sind«, sagt sie. »Hier ist viel Betrieb. Wir wollen nicht getrennt werden.«
    Dad zwinkert mir lächelnd zu, Mum nimmt Andy bei der Hand und marschiert flott vor uns her. Andy sieht sich nach uns um, ich verziehe angewidert das Gesicht wegen der Händchenhalterei, und er lässt Mums Hand los, als wäre sie ein glühendes Eisen. Sie kneift Daumen und Zeigefinger in seine Jacke und hält ihn stattdessen daran fest. Bevor wir den Bahnhof verlassen, besteht Dad darauf, dass wir uns alle in der kleinen Kabine neben dem Ausgang fotografieren lassen. Er sagt, wir müssen zwei ernste Gesichter machen und dann noch zwei blöde, wenn wir wollen. Ich frage, wozu er das haben will, und er sagt: »Geht dich nichts an.« Wir treten aus dem Bahnhof in überraschend helles Licht, und die Luft ist erfüllt vom Lärm der Busse und der Möwen. An Möwen bin ich aus unserer Gegend gewöhnt, aber das hier ist was anderes. Das ist ohrenbetäubend und pausenlos. Es riecht sogar so, wie man es von Brighton erwartet. Nach Gischt und Essig.
    Wir gehen die Queen’s Road hinunter und geradewegs zum Meer. Je weiter man auf dieser Straße bergab geht, desto mehr scheinen die Häuser auseinanderzurücken und den Horizont freizugeben. Der Geruch von Fish-and-Chips lässt einem das Wasser im Mund zusammenlaufen, und die Möwen werden immer lauter, je näher wir dem Strand kommen.
    »Ich kann nicht fassen, dass wir hier noch nie gewesen sind«, sage ich und betrachte die Spielhallen, die blitzen und dudeln, als wir vorbeigehen.
    »Warst du aber«, sagt Mum. »Als du ganz klein warst.«
    »Und ich?«, fragt Andy.
    »Du warst damals noch in meinem Bauch.«
    »Und was haben wir hier gemacht?«, frage ich und sehe Dad an.
    »Keine Ahnung«, sagt er. »Ich war nicht dabei. So! Die Strandpromenade! Was wollt ihr als Erstes machen?«
    Andy klettert schon auf das Geländer an der Promenade, lässt sich vornüberkippen und schwingt wieder zurück. Es gibt zwei Piers, einen auf der linken Seite, der voller Leben und Leute und Lichter ist, und einen auf der rechten, der still ins Wasser hinausragt, baufällig und verlassen.
    »Das ist der West Pier«, sagt Mum. »Man darf ihn nicht mehr betreten, aber als Kinder waren wir drauf. Bevor er verfiel. Wurde zu gefährlich, nehme ich an. Ein so schönes Ding einfach verfallen zu lassen, ist eine Schande.«
    Von hier aus sieht er immer noch schön aus, wie er sich so stolz aus dem ruhigen Wasser erhebt. Er ist das genaue Gegenteil des anderen, des Palace Pier mit seinen funkelnden

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