Am Ende eines Sommers - Roman
raue Mitte des Ohrs über, und es ist erst rau, dann glatt, dann rau, dann glatt; beruhigend und verstörend zugleich. Jakes Bett steht gegenüber; die Decke ist gerade gezogen und an den Rändern glatt gestrichen, das Kissen aufgeschüttelt. Wer hat ihm das gezeigt? Vielleicht ich. Aber er ist erst sieben. Seine Stofftiere liegen im Bett, und jeder kleine Kopf schaut über die Kante des säuberlich zurückgeschlagenen Lakens. Monkey, Big Ted, Donkey, Alberto, Blanky. Matthew zieht Jake immer damit auf, dass Blanky doch nur eine alte Decke ist, aber Jake sagt trotzdem »er« und »ihn«, als wäre sie lebendig.
Ich erschrecke, als das Telefon klingelt. Ich bin ertappt, ich liege hier und tue nicht das, was eine Mutter daheim tun sollte. Ich springe auf, laufe die Treppe herunter und bin am Telefon, als es zum fünften Mal klingelt.
»Mary, Süße, ich bin’s.« Ich höre, dass Sandy beim Sprechen Zigarettenrauch ausatmet.
»Sandy!« Mein Herz pocht unter der Bluse.
»Hallo, Schatz. Und? Wie ist dein erster Tag in der Freiheit? Fühlt sich gut an, was?«
»Ehrlich gesagt ist es merkwürdig. Still. Was treibst du?« Das Telefon müsste gründlich sauber gemacht werden. In allen Löchern der Wählscheibe sitzen Dreck und Staub.
»Nichts Besonderes. Billy ist arbeiten, nehme ich an? Ich dachte mir, wir wär’s, wenn wir beide zusammen ausgehen, zum Lunch und auf einen Drink? Eine kleine Feier, weil die Jungs jetzt alle in der Schule sind. Was meinst du? Ich könnte dich um zwölf abholen, und wir gehen ins Oak und essen Scampi ’n’ Chips. Und trinken einen Gin-Tonic? Wie wär’s, Schatz?«
Ich zögere, fahre mir mit den Händen durch das Haar und versuche, mein Spiegelbild im Wohnzimmerfenster zu erkennen. »Ich weiß nicht, Sandy. Ich meine, ich muss sie ja um kurz nach drei schon wieder abholen. Und das Haus ist ein Saustall.«
»Lebe ein bisschen!«, kräht sie und hustet wegen ihrer Zigarette. »Komm schon, Schatz, eine Stunde bringt dich nicht um, oder?«
Ich bin immer noch unschlüssig. Es kommt mir nicht richtig vor.
»Mary? Ich akzeptiere kein Nein. Ich bin um zwölf da. Bis dann, Süße.«
Ich lege auf, ziehe den Vorhang neben dem Telefon zurecht und schiebe Notizblock und Stifthalter rechtwinklig vor das Fensterbrett.
Die wunderbare Sandy. Als wir uns kennenlernten, sagte sie: »Gott, du bist aber ’ne Vornehme. Na, macht nichts. Du bist okay, wirklich.« Und das war’s.
Die Uhr zeigt zehn, und ich hole den Staubsauger heraus. Ich schiebe ihn in jede Ecke und verrücke sogar die Möbel, um darunter zu saugen. Als ich in die Küche komme, erschreckt mich der Anblick des zurückgerollten Linoleums, und ich rutsche auf Händen und Knien herum und versuche, es wieder in die Ecken zu drücken, aber natürlich geht das nicht. Da, wo ich gezogen und gezerrt habe, sind jetzt Wellen und Luftblasen. Ich lasse Wasser mit einem hohen Schaumberg in die Spüle laufen, wasche das Frühstücksgeschirr im Eiltempo ab und wische alle Flächen feucht. Ich denke an eine Tasse Tee, aber eigentlich habe ich dafür keine Zeit. Gestern Abend ist die Waschmaschine gelaufen. Ich stopfe die Wäsche in die Schleuder und dann in den Wäschekorb; ich mache die Hintertür auf und schaue zum Himmel. Es ist immer noch klar und sonnig, und ein leichter Wind geht. Die Wäscheleine ist quer durch den kleinen Garten gespannt, damit möglichst viel daraufpasst. Ich sortiere die Wäschestücke sorgfältig nach der Größe, erst die kleinen und dann die größeren: Die kleinsten Sachen hänge ich dicht ans Haus, die größten ans hintere Ende der Leine. So sind meistens Andys Sachen die Ersten, dann kommen Jakes, Matthews, meine und schließlich Billys. Heute reicht die Wäsche exakt von einem Ende zum andern; es bleibt keine Lücke, und kein Stück ist übrig. Ich trete zurück und bewundere mein Werk. Wenn ich Glück habe, ist bis heute Abend alles trocken.
Als ich das Klo gescheuert und die Betten gemacht habe, bleibt mir noch eine halbe Stunde, bis Sandy kommt. Ich öffne meinen Kleiderschrank und stöbere darin herum. Ich ziehe ein altes Minikleid heraus, halte es hoch und hänge es wieder weg. Es ist nur ein Lunch. Meine weiße Freizeithose sollte genügen, und dazu meine Lieblingsbluse, die seidene Rüschenbluse in Sonnenuntergangsorange. Ich stelle mich vor den Garderobenspiegel und bürste mir das lange dunkle Haar. »Das Haar einer Göttin«, hat Billy einmal gesagt, als wir uns kennenlernten. »Meiner Göttin«, hat
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