Am Ende eines Sommers - Roman
er dann stolz hinzugefügt. Nach hundert Bürstenstrichen sieht es immer noch schwer und glänzend aus und reicht mir bis über den Rücken. »Es braucht mal einen verdammt guten Schnitt«, hat er vorige Woche gesagt, als ich gefragt habe, ob ich es hochgesteckt oder offen tragen soll. Dann hat er gelacht, als wäre das ein guter Witz gewesen.
Ich suche ein paar klobige Armreifen und dicke Perlenketten heraus, betrachte mein Spiegelbild aus verschiedenen Winkeln und versuche mich zu sehen, wie andere mich vielleicht sehen. Es klingelt. »Du kannst mitkommen«, sage ich zu der Frau im Spiegel und laufe die Treppe hinunter, um Sandy hereinzulassen.
Jake,
Juni 1985
Zum Elternabend im Sommertrimester ermuntert die Schule immer dazu, dass beide Eltern mit ihrem Kind erscheinen, damit ein »zweiseitiger Dialog« zustande kommen kann. Mit beiden Eltern haben wir es noch nie geschafft, aber trotzdem sind es meist ein paar peinliche Stunden. Man hört den Lehrern zu, wie sie über einen reden, als ob man nicht dabei wäre.
»Ist es in Ordnung, wie ich aussehe?«, fragt Mum, als wir gehen wollen. Sie trägt einen Rock und eine weiße Bluse.
»Du siehst aus wie eine Sekretärin«, sage ich.
»Er hat recht.« Dad blickt kaum auf; er hat einen Fuß auf den Sessel gestellt und bindet sich den Schuh zu.
»Ach, ich weiß nicht, was ich anziehen soll! Ich will, dass wir einen guten Eindruck machen. Das ist wichtig, Jake – jetzt, wo wir alle wieder zusammen sind. Wir müssen das ernst nehmen.« Sie läuft auf bloßen Füßen die Treppe hinauf, und wir hören, wie sie oben in ihrem Zimmer herumkramt.
Dad schaut zu mir herüber. »Den letzten hat sie versäumt, oder? Sie ist einfach ein bisschen nervös.«
Ich trage immer noch meine Schuluniform; deshalb brauche ich mir nur Hände und Gesicht zu waschen und nachzusehen, ob mein Hemd nicht bekleckert ist. Alles gut.
Andys Schule hat ihren Elternabend an einem anderen Tag; also verschwindet er nach dem Tee zu Ronny, und wir machen uns auf den Weg zur Schule. Mum hat sich für eine Hose zu ihrer weißen Bluse entschieden; das passt besser zu ihr. Dad hat das volle Programm durchgezogen und trägt seinen grauen Anzug. Er hat nur diesen einen Anzug, für Hochzeiten, Beerdigungen, Taufen und jetzt auch Elternabende.
»Du siehst hübsch aus, Schatz«, sagt Dad und zieht die Tür hinter uns zu. Mum scheint ihn nicht zu hören.
»Und, Jakey, gibt es noch etwas, das wir wissen sollten, bevor wir da sind?«, fragt sie.
»Was zum Beispiel?«, frage ich. Bestimmt ist das eine Fangfrage.
»Na ja, was gut ist und was vielleicht nicht so gut ist. Ob du vielleicht Ärger gehabt hast. Ich will nur vorbereitet sein.«
Ich überlege angestrengt. Die Schule ist einfach der Ort, an dem ich jeden Tag bin, wenn ich nicht zu Hause bin oder Ferien habe. Ich habe eigentlich nie viel darüber nachgedacht.
»Nein, alles okay«, sage ich. »Was Besonderes fällt mir nicht ein«.
»Das ist gut«, sagt sie und schaut in die Ferne.
Der Gang zur Schule dauert ungefähr zehn Minuten. Am Tor holt Mum den Terminzettel heraus und sieht noch mal nach, ob die Zeit auch stimmt. Wir sind zwanzig Minuten zu früh da und folgen den Pfeilen, die zur Turnhalle führen. Dort sitzen die Lehrer an Einzeltischen mit Zeugniskarten, Stiften und Notizblöcken. Auf jedem Tisch steht ein Schild mit dem Namen und dem Fach des Lehrers. Man hört immer noch das Quietschen der Turnschuhe auf dem Hallenboden und riecht den jahrzehntealten Schweiß der Schüler. Die Seile sind an die Sprossenwand geknotet, und alle Bänke und Geräte sind weggeräumt. In der Turnhalle brummt es wie in einem Bienenkorb; Eltern und Kinder wandern umher, suchen den nächsten Lehrer und schauen auf die Uhr. Jeder macht ein anderes Gesicht: besorgt, amüsiert, verärgert, strahlend vor Stolz, gelangweilt. Ich sehe ein Mädchen, das in sein Taschentuch weint. Ich weiß nicht, warum – es ist Sally Jones, und die kriegt fast immer nur ein A. Vielleicht hat sie eben erfahren, dass sie irgendwo nur ein B bekommen hat.
Man muss bei seinem Klassenlehrer anfangen und dann die Runde durch die Halle machen und bei allen Fachlehrern in der Reihenfolge Station machen, wie sie auf dem Terminzettel stehen.
»Wir haben noch Zeit«, sagt Dad. »Lasst uns rumgehen und sehen, wo deine Lehrer sitzen. Dann geht’s nachher schneller.«
»Wir haben es nicht eilig, Bill«, sagt Mum. »Es ist genug Zeit.«
»Kann trotzdem nicht schaden«, sagt er und
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