Am Ende eines Sommers - Roman
letzter Auftritt, kurz danach ist er gestorben.« Sie schüttelt den Kopf, als ob sie sich an jemanden erinnerte, den sie tatsächlich mal kannte. »Was für eine Verschwendung.«
»Damals musst du Matthew schon gehabt haben. War er mit?« Ich bin ein bisschen eifersüchtig bei dem Gedanken, er könnte bei diesem Abenteuer dabei gewesen sein, auch wenn ich damals noch nicht auf der Welt war.
»Nein, nein. Er war bei deinem Dad, zu Hause in Portsmouth.«
»Mit wem warst du denn da?«
»Mit Gypsy.« Ihr Blick wandert weiter über die Rückseite des Doors-Albums, bevor sie es vorsichtig hinlegt. »Jedenfalls, wenn du sie magst, gehören sie dir, Jake. Jetzt hast du ja einen eigenen Plattenspieler.«
Mum geht in die Küche und setzt Wasser auf. Ich betrachte die Kartons mit der Musik und frage mich, warum Matthew sie nicht bekommen hat. Ich packe die Platten wieder in die Kartons, um sie in mein Zimmer zu tragen.
»Darf ich George anrufen, Mum? Ihm von der Musik erzählen?«
»Wenn du es kurz machst«, ruft sie von der Spüle aus. »Aber redet nicht so lange. Das ist teuer, Jake. Du kannst ihm ja einen Brief schreiben und mehr erzählen.«
Ich beschließe, den Anruf sein zu lassen. Lieber gehe ich nach oben und fange an, mich durch die Platten zu arbeiten.
Mum ist noch auf, als ich schlafen gehe; sie wartet auf Dad. Ich döse gerade weg, als das Klick-klack des Küchenschranks mich wieder weckt. Einen Moment lang ist es still, und ich weiß, sie hat gesehen, dass der Schrank leer ist. Ich habe schon nachgesehen; das tue ich jeden Morgen. Sie macht ihn wieder zu: klick-klack. Ich starre auf den Lichtstreifen unter meiner Tür, bis ich die Augen nicht mehr offen halten kann.
Mary,
Juli 1982
Irgendwo zwischen Schlafen und Wachen höre ich, dass unten das Telefon klingelt. Es klingelt und klingelt und klingelt. Grelles Sonnenlicht staut sich hinter den geschlossenen Vorhängen und schießt weiße Striche über die Spanplattenwand gegenüber. Die roten Ziffern der Digitaluhr zeigen 09:46. Das Klingeln hört auf. Ich greife nach dem Wasser auf meinem Nachttisch. Es schmeckt abgestanden, aber ich bin so durstig, dass ich es leer trinke. Als ich auf mein klammes Kopfkissen zurücksinke, fängt das Telefon wieder an zu klingeln. Das Wasser erreicht meinen Magen, und mir wird plötzlich übel. Ich rolle mich auf die Seite, presse die Hände auf die Ohren und versuchte, das Telefon mit meiner Willenskraft zum Schweigen zu bringen. Nach einer Weile hört das Klingeln tatsächlich auf. Ich schiebe langsam die Beine aus dem Bett, taste mit tauben Zehen nach meinen Pantoffeln und bin halb den Gang runter, als das Telefon wieder losklingelt. Schlagartig bleibe ich stehen und lausche. Es klingelt so hartnäckig. Vielleicht ist es Billy. Aber wahrscheinlich eher ein Vertreter. Oder jemand hat sich verwählt. Vielleicht ist es einer der Jungs. Ich stolpere die Treppe hinunter, finde mein Gleichgewicht wieder und nehme mit steifen Fingern den Hörer ab.
»Ja?«
»Mrs Andrews?«
»Ja?«
»Hier Mr Hall. Von der High School. Können wir sprechen?«
Sein Ton gefällt mir nicht. Arrogant.
»Natürlich. Was gibt’s?«
»Es geht um Matthew, Mrs Andrews. Er hat sich heute Morgen nicht eingetragen. Ist er normal zur Schule gegangen?«
Ich zögere und versuche, mich zu erinnern, ob ich die Jungs gesehen habe, bevor sie das Haus verlassen haben. Ich weiß es nicht mehr.
»Ja. Ja, er ist ganz normal weggegangen.«
Mr Hall räuspert sich. »Na ja, ich weiß nicht so recht, was bei Matthew normal ist. In den letzten vier Wochen hat er insgesamt neun Mal gefehlt. Dieser Grad von Schwänzerei scheint mir nicht völlig normal.«
Betretenes Schweigen tritt ein. Mr Hall wartet auf meine Antwort. Ich kann ihm keine geben.
»Mrs Andrews, darf ich fragen … ist zu Hause alles in Ordnung mit Matthew? Er ist offensichtlich ein hochintelligenter Junge, aber wenn er sich nicht bald am Riemen reißt, wird er die Schule ohne jede Qualifikation und mit wenig Hoffnung auf eine Karriere verlassen.«
Die letzten paar Wochen schwirren mir durch den Kopf, und ich versuche mich zu erinnern, ob Matthew sich anders benommen hat oder nicht.
»Wie oft, sagen Sie, hat er gefehlt? Denn, wissen Sie, kurz nach Weihnachten hatte er einen schlimmen Infekt in der Brust.« Ich ziehe die Gardine zur Seite und sehe Mrs Horrocks vom Laden an der Ecke; sie geht mit ihrem kleinen weißen Hund spazieren. Es ist schön draußen. Kein Wunder, dass Matthew keine
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