Am Ende eines Sommers - Roman
Lust hat, in die Schule zu gehen.
»Mrs Andrews, er hat im letzten Monat neun Mal gefehlt! Das haben Sie verstanden, ja?«
»Ja.«
»Selbstverständlich müssen wir Matthews Wohl im Auge behalten. Er ist ein Junge von vierzehn Jahren. Wenn Sie ihn ausfindig gemacht haben, möchte ich, dass Sie mich anrufen und mir sagen, dass er heil und gesund ist. Und dann wäre es schön, wenn Sie in mein Büro kommen könnten, möglichst zusammen mit Mr Andrews, damit wir besprechen, was nun werden soll. Mrs Andrews?«
Ich habe Herzklopfen. Er will uns sprechen. »Ich rufe Sie an, sobald ich ihn gefunden habe, Mr Hall. Vielen Dank.«
Ich lege auf und stehe wie angewurzelt auf dem trübselig gemusterten Teppich.
Billy weiß sofort, wo Matthew steckt. »Er wird bei seiner Gran sein«, sagt er.
»Dann kannst du ihn da abholen«, sage ich und drehe die Telefonschnur um meinen Daumen.
Billy seufzt und sagt geduldig, als wäre ich schwachsinnig: »Ich muss arbeiten, Mary. Ruf sie an, fahr hin und hole ihn ab. Das wird dich nicht umbringen. Sei einfach höflich.«
Als ich bei Jean ankomme, ist es fast Lunchzeit. Den ersten Bus habe ich verpasst, und auf den zweiten musste ich eine halbe Stunde warten. Als ich auf das Reihenhaus zugehe, bewegt sich die Gardine, und die Haustür geht auf, bevor ich klopfen kann.
»Mary«, sagt Jean eisig. Sie steht flach an der Wand, um mich vorbeizulassen.
»Hallo, Jean. Wie geht’s?« Ich bringe ein Lächeln zustande.
»Es ginge mir sehr viel besser, wenn ich wüsste, was mit dir und deinem Sohn los ist.« Sie hat die Arme fest verschränkt. »Der Junge ist nicht sehr glücklich.«
Ich runzle die Stirn und gehe voraus ins Wohnzimmer. Da ist Matthew; er hat die Schuhe ausgezogen, sitzt vor dem Fernseher und isst Kekse. Er hat eine aufgeplatzte Lippe und ein schmutziges Gesicht. Mir wirft er nur einen kurzen Blick zu, dann schaut er wieder auf den Bildschirm.
»Mr Hall hat angerufen, Matthew. Er sagt, es ist nicht das erste Mal, dass du die Schule schwänzt. Na, das wusste ich ja, aber ich hatte keine Ahnung, wie viele Tage du tatsächlich schon geschwänzt hast. Matthew! Hörst du mir zu?«
Jean schnalzt mit der Zunge. Sie steht in der Tür. »Antworte deiner Mutter, Junge.«
Matthew sieht sie an und verdreht die Augen. »Das ist nicht meine Mutter, Gran.« Er spricht undeutlich. »Das ist eine alte Kuh. Eine versoffene alte Kuh.«
Ich sehe den Triumph in Jeans Blick. Sie schaut mich achselzuckend an, als wollte sie sagen: Du bist dran, Mary, wenn du so clever bist. Sie wieselt in die Küche, wo sie immer noch in Hörweite ist.
Ich setze mich neben Matthew auf das Sofa und kämpfe mit den Tränen, die hinter meinen Lidern brennen. Ich lege ihm ganz leicht eine Hand auf das Bein. Er schiebt sie weg und starrt wütend in den Fernseher.
»Matthew. Warum sagst du so etwas vor deiner Gran?«
»Es stimmt doch, oder?« Jetzt sieht er mich an. Seine Augen sind hart und schwarz.
»Natürlich stimmt es nicht! Alle Erwachsenen trinken ab und an mal einen. Das macht mich doch nicht zur Säuferin, Herrgott noch mal!« Ich zittere innerlich. »Ist dein Dad etwa ein Säufer?«
»Nein. Dad steht jeden Morgen um sechs Uhr auf und geht zur Arbeit. Dad bringt mich nicht vor meinen Freunden in Verlegenheit. Dad versteckt seine leeren Flaschen nicht ganz unten in der Mülltonne.«
Ich stehe auf und versperre ihm den Blick auf den Fernseher. »Wie willst du denn wissen, ob ich dich in Verlegenheit bringe? Ich bin mir nicht sicher, ob du überhaupt Freunde hast! Du bringst nie welche mit nach Hause!«
»Weil du eine Saufziege bist! Wie soll ich jemanden mit nach Hause bringen, wenn du so bist? Weißt du noch, wie ich mal Tony Sadler mitgebracht hab, und du hattest Whisky getrunken? Du hast die Flasche neben dem Ketchup auf dem Tisch stehen lassen, und er hat dauernd draufgezeigt und gelacht. Und am nächsten Tag hat er in der Schule allen erzählt, meine Mum heißt Scotch Mary. Verstehst du? Scotch Mary, verdammte Scheiße!«
Jean steht wieder in der Tür und schüttelt den Kopf.
»Matthew bringt alles durcheinander, Jean. Er ist derjenige, der getrunken hat. Ich rieche es an seinem Atem!«
Wieder schüttelt Jean den Kopf.
»Sieh mich an! Sehe ich besoffen aus, Jean?« Mit ausgebreiteten Armen stehe ich da und lächle ungläubig. »Ja, Jean? Sehe ich für dich aus wie eine Saufziege?«
Jean löst sich vom Türrahmen, kommt über das grüne Wirbelmuster des Teppichs auf mich zu und bleibt zwei
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