Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am Ende war die Tat

Am Ende war die Tat

Titel: Am Ende war die Tat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
Vom Netzwerk:
es? Was haben Sie gesehen?«
    Ubayy Mochi antwortete mit gesenkter Stimme und einem kurzen Blick in Joels Richtung. Er wollte ihn davor schützen, die erschütternden Tatsachen zu erfahren, aber Joel hörte ihn trotzdem - nicht, dass es nötig gewesen wäre.
    Eine Rotte Jugendlicher hatte die junge Dame überfallen. Ubayy Mochi konnte nicht sagen, wo sie sie gefunden hatten, aber er hielt es für undenkbar, dass ein junges Mädchen nach Einbruch der Dunkelheit allein durch Meanwhile Gardens lief. Also mussten sie ihr irgendwo anders aufgelauert und sie in den Park verschleppt haben. Sie hatten sie zu der Stelle gebracht, wo der Pfad entlang des Grand Union Canal in den Tunnel der Unterführung eintauchte. Dort hatten sie sich wohl vor allen Blicken sicher gefühlt und die junge Dame angegriffen, hätten vermutlich noch weit Schlimmeres getan, als sie ohnehin schon angerichtet hatten, doch ein einzelner Schrei hatte Mochi aus seiner Abendmeditation gerissen, und er war ans Fenster seiner kleinen Wohnung getreten, um nachzusehen.
    »Ich besitze eine starke Taschenlampe«, erklärte er, »die ich für genau solche Momente höchst nützlich finde. Ich habe den Strahl auf sie gerichtet. Ich habe gerufen, dass ich sie erkenne - obwohl ich fürchte, dass das nicht der Fall war -, und gedroht, dass ich der Polizei ihre Namen nenne. Da sind sie weggerannt. Und ich bin der jungen Dame zu Hilfe geeilt.«
    »Haben Sie die Polizei angerufen?«
    »Mir blieb keine Zeit. Hätte ich das getan ... Bedenkt man, wie viel Zeit zwischen einem Anruf auf der Wache und dem Erscheinen eines Streifenwagens am Ort des Geschehens vergeht ...« Der Mann schaute von Kendra zu Ness. Verlegen sagte er: »Ich glaube, diese Jungen hatten sie noch nicht ... Es schien mir das Wichtigste, als Erstes ihre Sicherheit zu gewährleisten.«
    »Gott sei Dank«, sagte Kendra. »Sie haben dich also nichtvergewaltigt, Ness? Diese Jungen haben dich nicht vergewaltigt?«
    Ness regte sich, als sie das hörte, und zum ersten Mal wurde ihr Blick klar. »Was?«, murmelte sie.
    »Haben diese Jungen dich vergewaltigt?«
    »Meinste, das is' das Schlimmste, was passieren kann?«
    »Ness, ich frage, weil wir den Cops sagen müssen ...«
    »Nein. Nur damit du Bescheid weiß': Vergewaltigung is' nich' das Schlimmste. Nur das Ende vom Schlimmsten. Kapiert? Nur das Ende, okay ... Nur das Ende ...« Sie fing an zu weinen. Aber auf die Frage, was genau ihr passiert war, wollte sie nichts weiter sagen.
    So war es auch in der Notaufnahme des Krankenhauses, wo ihre Verletzungen versorgt wurden - sie waren, zumindest physisch, nur oberflächlich und mit Salben und Pflaster schnell verarztet. In anderer Hinsicht gingen sie tief. Als ein junger weißer Constable mit einem Schweißfilm auf der Oberlippe sie befragte, erklärte sie, sie könne sich nach dem Verlassen der U-Bahn-Station und bis zu dem Moment, da sie sich am Küchentisch wiedergefunden hatte, an nichts erinnern. Sie wisse nicht, wer sie überfallen habe. Oder wie viele. Der Constable stellte keine Fragen nach den Hintergründen oder warum ausgerechnet sie als Opfer ausgesucht worden war. Andauernd wurden irgendwelche Menschen zu Opfern, nur weil sie unvorsichtig genug waren, nach Einbruch der Dunkelheit allein unterwegs zu sein. Er riet ihr, in Zukunft vorsichtiger zu sein, und reichte ihr ein Merkblatt mit dem Titel »Wachsamkeit und Verteidigung«. Sie solle es lesen, trug er ihr auf. Im Kampf gegen solches Gesindel sei es schon die halbe Miete zu wissen, was sie voraussichtlich tun würden und wann. Er klappte sein Notizbuch zu und wies sie an, in den nächsten Tagen in der Polizeidienststelle an der Harrow Road vorbeizuschauen, sobald sie dazu in der Lage sei. Sie müsse eine Aussage unterschreiben, und wenn sie wollte, könne sie die Fotos ihrer Verbrecherkartei und Phantombilder anschauen - was immer das nützen mochte, fügte er überflüssigerweise hinzu -, um zusehen, ob sie vielleicht einen oder mehrere ihrer Angreifer erkannte.
    »Ja. Klar. Mach ich«, lautete Ness' Antwort.
    Sie kannte das Ritual. Jeder kannte es. Nichts würde geschehen, weil es nichts gab, das man hätte tun können. Aber das war Ness nur recht.
    Sie sagte kein Wort mehr über den Vorfall. Sie tat, als sei dieser Überfall Schnee von gestern. Doch der Panzer aus Gleichgültigkeit, den sie so lange getragen hatte, ehe sie Majidah und Sayf al Din begegnet war, umhüllte sie wieder - eine gefühllose Isolationsschicht, die die Welt auf Abstand

Weitere Kostenlose Bücher