Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis
Menschen sind hier in der Nähe. Wir folgten den Spuren. Das Wetter verschlechterte sich aber zunehmend, und bald sahen wir nicht mal unsere eigenen Hunde vor uns. Nach drei Stunden (welche Freude!) fünf kleine Zelte, unzählige bellende Hunde, der begeisterte Schrei ›Aodlan, Aodlan!‹ (Reisende, Reisende!). Wir waren am Ziel! Die Menschen stürzten sich in einem Freudentaumel aus ihren Zelten.
Inland-Eskimos ziehen Zelte aus Karibuhaut, in Schnee eingepackt, den herkömmlichen Iglus vor. Sie hatten seit einem Jahr keinen Menschen von außerhalb gesehen, so abgeschnitten leben sie hier. Diese ausgelassene Freude über unseren Besuch war auch für uns, nach dieser strapaziösen Reise, ein Augenblick des absoluten Glücks, wie man es nur hier erlebt!
Anfang Februar
Wir blieben vier Tage. Karibujäger sind sie, und wir erlebten hautnah, wie komplett abhängig sie von diesem Tier sind. Die einzige ›fremde‹ Nahrung, die sie zu sich nehmen, ist Tee aus dem Süden. Ihre Zelte und Kleider sind aus Karibuhaut, ihr Essen ist Karibu in jeder erdenklichen Variante: frisches, gefrorenes Rohfleisch, getrocknetes, gekochtes Fleisch, roher Speck vom Rücken, Zungen, Herzen, Leber, Gehirn, Knochenmark, so wie es dem Geschmack entspricht.
Mit Rückenspeck werden auch die Steinlampen betrieben. Sie hatten ein gutes Jahr. Keine Krankheiten, eine erfolgreiche Jagdsaison. In einer Familie sei ein gesundes Kind auf die Welt gekommen, ein junger Mann hätte eine Frau zu sich genommen. Gibt es Neuigkeiten von der Außenwelt? ›Streitet ihr Weißen euch immer noch wie die Hunde?‹, wollten sie wissen. ›Das ist, weil es zu viele von euch gibt‹, war ihre einfache Erklärung dafür.
Dreimal am Tag sammelten wir uns im größten Zelt zum Beten und Singen und um eine Bibelarbeit zu machen. Das Evangelium ist für sie nicht ganz fremd. Es waren vor einigen Jahren schon katholische Missionare hier. Aber die Choräle kannten sie nicht. Wie in allen Siedlungen, wollten diese Menschen mehr über den ›Jesusweg‹, wie sie unsere Lehre nennen, erfahren.
›Genauso wie wir zu euch gekommen sind, um euch von Gottes Liebe zu erzählen, genauso kam Jesus vor 2 000 Jahren in diese Welt. Nur, er wurde nicht so freudig begrüßt, wie ihr uns begrüßt habt. Es gab keine bellenden Hunde, keine Menschen, oder nur sehr wenige, die aus ihren Zelten gerannt kamen, um etwas über Gott zu erfahren. ›Er kam in das Seine, und die Seinen nahmen ihn nicht an‹, wird uns von Jesus Freund Johannes in der Bibel erzählt. Aber die, die ihn aufnahmen, sie werden Gottes Kinder genannt. Sie brauchen keine Angst mehr vor bösen Geistern zu haben, selbst vor dem Tod müssen sie sich nicht fürchten …‹
Hat es sich gelohnt, all diese Strapazen auf uns zu nehmen, gar unser eigenes Leben zu riskieren, um diesen lieben Menschen solche Worte mitzuteilen? Ich kann mir nach all diesen Jahren Missionsarbeit unter den Eskimos nichts Sinnvolleres vorstellen, als ihnen zu zeigen, wie die Kenntnis des lebendigen Gottes sich in ihrem Leben auswirken kann. Die abgrundtiefe Angst, die finsteren Schatten weichen allmählich von ihren Gesichtern, werden durch eine neue innere Freiheit ersetzt, die sie vorher nicht kannten. Ein Jäger sagte zu mir: ›Bevor ihr gekommen seid, war der Weg dunkel und wir lebten in Angst. Aber jetzt haben wir keine Angst mehr, denn die Dunkelheit ist gewichen und alles ist hell, weil wir den Jesusweg gehen.‹
Irgendwann rissen wir uns von ihnen weg und machten uns auf den langen Treck nach Hause. Wir blickten besorgt zum Himmel, wo sich dunkle Wolken anhäuften. Die Hunde waren unruhig, nervös und hatten es eilig.«
»Wann kommt Dad endlich?«
Das war die häufigste Frage im Sperry-Haushalt in den Fünfziger- und Sechzigerjahren in Coppermine.
»So wie der Wind draußen tobt, hoffe ich nicht, dass er jetzt unterwegs ist, Schatz«, war eine ebenso häufige Antwort. »Ich hoffe, er hat irgendwo ein Loch gefunden, in das er sich eingraben konnte.«
Die frisch genagelten Bretter der Außenwand knarrten. Dem neuen Missionshaus stand die erste harte Bewährungsprobe bevor. Bisher war der Winter zwar kalt, aber nicht stürmisch gewesen. Das einsame Jaulen eines einzelnen Wolfes in der Ferne übertönte ein paar Sekunden lang das Heulen des Windes um das kleine Haus herum. Die Schneeverpackung an den Außenwänden reichte bis zur unteren Fensterhälfte. Man konnte in der pechschwarzen Nacht ohnehin nichts außer treibende Schneeflocken
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