Am zwölften Tag: Denglers siebter Fall (German Edition)
sie nicht an – sie nimmt es einfach nicht an.«
Wahrscheinlich mag sie keine Räucherstäbchen, denkt Dengler.
»Sie ist klug, sehr klug, aber so schrecklich rational. Wie ihr Vater.«
»Ist Ihr Mann auch …«, Dengler will plötzlich nicht ›Pfarrer‹ sagen, »… seelsorgerisch tätig?«
Sie lacht bitter. »Mein Mann ist Lehrer.«
»Ein ordentlicher Beruf.«
»Physik, Mathe und Ethik«, sagt sie, als würde das alles erklären. »Sie müssten ihn kennen. Er sitzt für die SPD im Gemeinderat.«
Dengler hebt die Schultern, um damit zu signalisieren, dass er sich in der Kommunalpolitik nicht auskennt.
»Die Lehrer sind nämlich besonders schlau«, sagt sie plötzlich giftig. »Andere Berufe gründen eine Gewerkschaft, um ihre Interessen zu vertreten. Die Lehrer sind schlauer. Die haben gleich eine ganze Partei gekapert. Gegen die Lehrer läuft gar nichts. Verstehen Sie?«
Er muss die Richtung des Gesprächs ändern. Er will nichts über ihre Eheprobleme wissen.
»Weiß Ihr Mann etwas darüber, was Laura in Barcelona mit den Kameras und den Nachtsichtgeräten will?«
Sie sieht ihn mit einem Blick an, der von weit her kommt. »Ich glaube nicht. Ich werde ihn fragen und Sie dann anrufen.«
Dengler nickt. »Isst Ihre Tochter Fleisch?«
Sie schüttelt den Kopf. »Schon lange nicht mehr. Aus ethischen Gründen sei es ihr nicht möglich, sagte sie. Ich habe die Ernährung der ganzen Familie umstellen müssen. Es ist …« Sie schweigt einen tiefen Seufzer lang. »Man kann auch aus religiösen Gründen auf Fleisch verzichten. Aus Respekt vor Gottes Schöpfung. Mir hätte es besser gefallen, sie hätte gesagt: Ich bin ab jetzt Vegetarierin, weil ich mich nicht länger an unseren Mitgeschöpfen versündigen möchte. Aber nein …«
»Sie ist ein Papakind. Und Ihr Mann unterrichtet Ethik.«
Sie hebt die Schultern und lässt sie wieder fallen. »Aber dann ging sie weiter, sogar weiter, als es meinem Mann recht war. Eines Tages sagte sie zu mir: ›Mama, es gibt neue Erkenntnisse.‹ Seither koche ich vegan.«
»Vegan?«
»Keine Eier zum Frühstück, keine Sahne in die Pasta, kein Käse und keine Milch, keine Schuhe aus Leder, kein Gürtel aus Leder.«
Dengler überwindet sich selbst zur nächsten Frage: »Und Jakob, isst er auch vegan?«
»Natürlich. Sie hat alle bekehrt.«
Wieso weiß ich nichts davon, dass mein Sohn Veganer ist. Warum redet er nicht mit mir über diese Dinge?
»Sie beschäftigt sich wohl schon lange mit Tieren, ich meine mit Tierschutz, Ethik und diesen Dingen?«
»Ja. Sie beteiligt sich sogar mit einer Arbeit bei ›Jugend forscht‹. Da geht es genau darum.«
»Kann ich diese Arbeit sehen?«
»Ich weiß nicht …«
»Bitte. Es könnte wichtig sein. Für uns alle, die Kids und die Eltern. Ich bin mir nicht sicher, aber ich fürchte, dass unsere Kinder in diesem Urlaub etwas nicht sehr Kluges anstellen. Wozu brauchen sie Nachtsichtgeräte?«
Sie nickt, steht auf und geht aus dem Zimmer. Dengler zieht sein Notizbuch heraus, schreibt seine Handynummer auf eine leere Seite, reißt sie heraus und legt sie auf die Couch.
Lauras Mutter kommt kurz danach mit einem blauen Schnellhefter und reicht ihn Georg Dengler.
»Ich bringe ihn bald zurück.«
Sie nimmt das Blatt mit seiner Handynummer. »Ab einem bestimmten Alter sind es nicht mehr romantische Gründe, wenn man von einem Mann die Telefonnummer zugesteckt bekommt«, sagt sie bitter.
Dengler nimmt rasch den blauen Schnellhefter an sich und steht auf.
43. Stuttgart, Praxis von Simons Vater, vormittags
»Haben Sie einen Termin?«
»Nein. Ich …«
»Sind Sie privat versichert?«
»Ich muss Dr. van Papen in einer privaten Angelegenheit sprechen. Unsere beiden Söhne sind zusammen verreist und …«
»Bitte nehmen Sie einen Augenblick im Wartezimmer Platz. Ich werde Herrn Doktor informieren.«
Nach zwanzig Minuten ruft eine andere Frauenstimme aus dem Lautsprecher: »Herr Dengler, bitte in Sprechzimmer 2.«
Er wartet ein paar Minuten, dann geht die Tür auf.
»Herr Dengler, ich höre, unsere Söhne kennen sich?«
Dr. van Papen steht im Raum. Er ist groß, Dengler schätzt ihn auf 1,87 Meter, hager, braune, kurz geschnittene Haare, an den Schläfen deutlich grau, hellgraue Augen, randlose Brille. Weißer Kittel, weiße Jeans, sehr teuer, weiße Slipper aus Leder. Dr. van Papen lebt jedenfalls nicht vegan.
»Mein Sohn Jakob ist mit Ihrem Sohn nach Barcelona gefahren. Mit Interrail.«
»Ja, ja. Und?«
Dr. van Papen beginnt
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