Amelia Peabody 05: Der Sarkophag
Detailgenauigkeit das Werk zu einem künstlerischen Meisterstück machten. Die alten Ägypter bildeten diese Tiere für die Jagd aus. Dieses Exemplar trug ein Halsband, und ihre Ähnlichkeit mit Bastet war erstaunlich – vielleicht auch keineswegs erstaunlich, da sie ein Abkömmling derselben Linie war. Vielleicht ein Nachfahre ebendieser Katze? Ein amüsanter und faszinierender Gedanke …
Emersons Kritik wirkte eher unterhaltsam als kränkend auf Seine Lordschaft. »Ja, der alte Junge war ein Räuber, ganz recht. Aber sehen Sie, Professor, das machten doch alle.«
Da ich ahnte, daß Emerson eine aufgebrachte Bemerkung machen wollte, unterbrach ich ihn, denn es lag keineswegs in unserem Interesse, den jungen Mann zu verärgern. »Es ist gewiß nicht Lord Liverpools Schuld, Emerson. Welch ein herrliches Stück! Vor einigen Jahren brachten wir aus Ägypten eine Katze mit, Ihre Lordschaft; diese hier ist das Ebenbild von Bastet.«
»In der Tat, Madam?«
»Ned«, meinte Lord St. John mit leiser, ausdrucksloser Stimme, »ist vernarrt in Katzen.«
»O ja, gewiß. Liebe diese kleinen Geschöpfe. Die Stallungen sind voll davon«, fügte Lord Liverpool irgendwie verunsichert hinzu.
Die Sammlung enthielt nichts, was dieses Sandsteinrelief hätte übertreffen können, obwohl Emerson natürlich jeden Skarabäus begutachtete. Schließlich deutete der Graf auf eine Tür am Ende des Raums.
»Die vorletzte Ruhestätte der bedauernswerten alten Mumie«, erklärte er grinsend. »Nicht mehr allzuviel von ihr übrig; ich beabsichtige, den Raum irgendwann einmal in einen Salon umzugestalten – nach meiner Heirat.«
Ich öffnete die Tür und warf einen Blick ins Innere. »Ah, überaus interessant. Aus diesem Zimmer kamen dann also bei Vollmond die Schreie und das Stöhnen, und das Inventar verselbständigte sich.«
Lord Liverpool warf den Kopf zurück und lachte lauthals. Die Sehnen seines mageren Halses traten wie dünne Drähte hervor. »Eine hinreißende Geschichte, nicht wahr? Das Mädchen wurde entlassen – nicht von mir, um solche Dinge kümmere ich mich nicht, sondern von der Haushälterin; die meinte, sie sei faul. Kann der kleinen Göre keinen Vorwurf machen, daß sie sich auf unsere Kosten ein paar Pfennige verdient hat.«
Da mir seine unsichere Sprechweise und sein zunehmend blasseres Gesicht auffielen, blickte ich zu Emerson. Er nickte unmerklich. Nachdem wir einen kurzen Rundgang durch den Raum gemacht hatten, der, wie Seine Lordschaft betont hatte, außer einigen Vorratstruhen mit eingeschnitzten Totengöttern nichts Interessantes enthielt, dankten wir ihm und brachen auf.
Unwillkürlich ging mir ein Seufzer über die Lippen, als die Kutsche langsam die steinige Auffahrt hinabrollte. »Erschöpft, Peabody?« fragte Emerson, während er seinen Hut auf den Sitz warf und seine Krawatte lockerte.
»Weniger körperlich erschöpft als unsäglich bestürzt, Emerson. Die Atmosphäre in diesem Haus ist absolut bedrückend!«
»Red keinen Unsinn«, brummte Emerson. »Der bewohnte Teil ist hell, modern, gepflegt … Peabody, ich hatte dich doch gebeten, die Möbel in der berühmten Schlafkammer nicht anzurühren; du hast Ruß oder Fett an deinen Händen.«
»Ich glaube, es handelt sich um Öl«, bemerkte ich und wischte meine Finger an meinem Taschentuch ab. »Aber ich meinte nicht so sehr das Haus, Emerson; ich sprach von seinem Besitzer. Was auch immer seine Sünden sein mögen, es ist tragisch, einen jungen Mann mit seinem unvermeidlich bevorstehenden Tod konfrontiert zu sehen.«
»Die Krankheit hat bereits seinen Verstand beeinflußt«, knurrte Emerson. »Du hast sicherlich seine charakteristischen Erregungszustände bemerkt. Er könnte Mordgedanken hegen, Peabody.«
»Diese Empfindung hatte ich nicht, Emerson.«
»Empfindungen sind keinen Pfifferling wert. Du übst gegenüber diesem jungen Burschen Nachsicht, weil er krank ist und weil er sagt, daß er Katzen mag.«
»Das ist doch ein gewinnender Charakterzug, Emerson.«
»Das hängt davon ab«, meinte Emerson düster, » wie er sie mag.«
12
Henry hielt die Kutsche vor dem Haus an, um uns aussteigen zu lassen, bevor er zu den Stallungen weiterfuhr. Als wir hinauskletterten, drehte sich Emerson um und ballte seine Faust. »He, du da, kleines Ungeheuer! Versuch das nicht noch einmal; du wirst dir ein Bein brechen.«
»Das galt hoffentlich nicht mir«, bemerkte ich scherzhaft.
Emerson deutete auf einen zerlumpten Bengel, der eilig das Weite suchte.
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