American Psycho
Lippen. Er ist um die Vierzig, massiver Typ, und als er versucht, sich aufzusetzen, erkenne ich ihn besser im Schein der Straßenbeleuchtung: Mehrtages-Bart, Dreifachkinn, rote Nase durchzogen von dicken braunen Adern. Trägt einen unmöglichen, limonengrünen Polyesteranzug, und darüber noch verwaschene Sergio-Valente-Jeans (der gewagteste Trend der diesjährigen Pennermode) zu einem durchlöcherten orange-braunen Sweater mit V-Ausschnitt. Massenweise Flecken, offensichtlich Burgunder. Scheint ziemlich betrunken – oder aber irre, oder verblödet. Selbst als ich mich über ihn beuge und, das Licht der Straßenlaterne im Rücken, meinen Schatten auf ihn werfe, verdreht er suchend die Augen. Ich knie nieder.
»Hallo«, sage ich, reiche ihm die Hand, die der Hund geleckt hat. »Pat Bateman.«
Der Penner starrt mich an, japsend vor Anstrengung, die es ihn kostet, sich aufzurichten. Seine Hand bleibt regungslos.
»Brauchen Sie Geld?« frage ich sanft. »Etwas … zu essen?«
Der Penner nickt und weint dankbar.
Ich greife in die Tasche und zücke einen Zehn-Dollar-Schein, besinne mich und reiche ihm lieber einen Fünfer. »Ist es das, was sie brauchen?«
Der Penner nickt wieder und wendet sich ab, schamhaft, die Nase läuft, und sagt nach einem Räuspern leise: »Ich bin so hungrig.«
»Und kalt ist es auch hier«, sage ich. »Nicht wahr?«
»Ich bin so hungrig.« Es würgt ihn einmal, zweimal, ein drittes Mal, dann wendet er den Blick ab, gedemütigt.
»Warum suchen Sie sich keinen Job?« frage ich, den Schein noch in der Hand, aber außer Griffweite des Penners. »Wenn Sie so hungrig sind, warum suchen Sie sich keinen Job?«
Er atmet tief ein, zittert und gesteht unter Tränen: »Bin rausgeflogen …«
»Warum?« frage ich mit echter Anteilnahme. »Trinker? War das der Grund? Insider-Geschäfte? Kleiner Scherz. Jetzt im Ernst – betrunken im Dienst?«
Er wiegt sich in den Armen, stößt schluchzend hervor: »Bin gefeuert worden. Man hat mich rausgeschmissen –«
Ich lasse es mir durch den Kopf gehen, nicke. »Je, tja, das ist bitter.«
»Ich bin so hungrig«, sagt er und bricht in Tränen aus, immer noch die Arme um den Körper geschlungen. Sein Hund, das Ding namens Gizmo, beginnt zu jaulen.
»Warum suchen Sie sich nichts Neues?« frage ich. »Warum suchen Sie sich keinen neuen Job?«
»Ich bin nicht …« Er hustet, hält sich den Bauch, zittert jämmerlich, unkontrolliert, kann den Satz nicht beenden.
»Sie sind was nicht?« frage ich sanft. »Für irgendwas anderes zu gebrauchen?«
»Ich bin hungrig«, flüstert er.
»Weiß ich, weiß ich ja«, sage ich. »Mann, ihre Platte hat ’nen Sprung. Ich will ja nur helfen …« Meine Ungeduld wächst.
»Ich bin hungrig«, wiederholt er.
»Hören Sie. Finden Sie es fair, Leuten Geld abzunehmen, die Jobs haben? Arbeitenden Menschen?«
Sein Gesicht fällt zusammen, und er japst mit brechender Stimme: »Was soll ich machen?«
»Hören Sie mir zu«, sage ich. »Wie heißen Sie?«
»Al«, sagt er.
»Sprechen Sie lauter«, sage ich. »Los jetzt.«
»Al«, sagt er, ein wenig lauter.
»Suchen Sie sich einen verdammten Job, Al«, sage ich in ernstem Ton. »Sie haben eine negative Einstellung. Das bringt Sie nicht weiter. Sie müssen sich zusammenreißen. Ich werde ihnen helfen.«
»Sie sind zu freundlich, Mister. Sie sind gut. Sie sind ein guter Mensch«, brabbelt er. »Das spüre ich.«
»Shhhht«, flüstere ich. »Schon gut.« Ich tätschele den Hund.
»Bitte«, sagt er, grapscht nach meinem Handgelenk. »Ich weiß nicht weiter. Mir ist so kalt.«
»Wissen Sie eigentlich, wie Sie riechen?« Das flüstere ich tröstend, streiche ihm über den Kopf. »Der Gestank, mein Gott …«
»Ich kann keine …« Er atmet schwer, schluckt dann. »Ich kann keine Unterkunft finden.«
»Sie stinken«, sage ich ihm. »Sie stinken nach … Scheiße. « Ich tätschele noch immer den Hund, seine Augen: groß und feucht und dankbar. »Wissen Sie das? Verdammt, Al – sehen Sie mich an, und hören Sie auf zu jammern wie eine verdammte Schwuchtel! « schreie ich. Mein Haß flammt auf, klingt ab, und ich schließe die Augen, hebe die Hand, um meine Nasenwurzel zu reiben, dann seufze ich. »Al … es tut mir leid. Es ist nur, daß … ich weiß nicht. Sie und ich haben nichts gemeinsam.« Der Penner hört nicht. Sein hemmungsloses Weinen erstickt jede passende Antwort. Ich stecke den Schein langsam zurück in die rechte Tasche meines Luciano-Soprani-Jacketts, die
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