Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)
heiß. Wasser spielt im Nord-Süd-Verhältnis ebenfalls eine bedeutende Rolle, es ist das Öl der kalifornischen Wirtschaft. Drei Viertel des Wassers kommen aus dem Norden, aber vier Fünftel werden im Süden verbraucht, zum größten Teil in der Landwirtschaft.
Eine Stadt wie Los Angeles ist vollkommen abhängig von dem Wasser, das auf komplizierten und teuren Transportwegen aus anderen Regionen herbeigeschafft wird. Nicht zufällig wurde in der Vergangenheit wild mit Wassernutzungsrechten spekuliert, denn ohne zusätzliches Wasser konnte die Stadt nicht weiterwachsen. In den zwanziger Jahren brach ein regelrechter Wasserkrieg zwischen der Stadt und rebellierenden Farmern im benachbarten Owens Valley aus; Los Angeles entzog ihren Böden so viel Wasser, dass keine Landwirtschaft mehr möglich war.
Die Wasserknappheit führt zu ständigen Reibereien zwischen dem Norden und dem Süden des Staates. Der Süden mit seinen großen Ballungszentren besitzt die Macht, im Norden fühlt man sich ausgenutzt. Diese Spannungen wirken sich auch auf die kalifornische Politik aus. Ein scheidender Gouverneur hat einmal zu seinem Nachfolger gesagt: »Bete um Regen. Wenn du ein paar nasse Sommer hast, kannst du alles schaffen. Bleibt es trocken, kannst du das hier vergessen, egal was du tust.«
Vielleicht liegt es ja an den permanenten Wasserproblemen, dass in Kalifornien das Umweltbewusstsein weiter entwickelt ist als im übrigen Amerika. Während man sich in vielen Bundesstaaten nicht im Geringsten für irgendwelche Umweltnormen interessiert, versucht Kalifornien die CO 2 -Emissionen bis zum Jahr 2020 auf das Niveau von 1990 zu senken – die entsprechende Verordnung wurde ausgerechnet von einem republikanischen Gouverneur unterzeichnet. Für Neuwagen gelten immer strengere Abgasgrenzwerte, die Luftverschmutzung durch die Industrie wird reduziert, die Solarenergie wird gefördert und gewinnt stark an Bedeutung, auf manchen Parkplätzen stehen sogar »Sonnenblumen«, elegante heliotrope Kollektoren, die sich automatisch nach der Sonne ausrichten.
Bei neuen Technologien ist der Staat führend. Silicon Valley, der südliche Teil der San Francisco Bay Aera mit dem Santa Clara Valley und der Südhälfte der Halbinsel von San Francisco, ist auf der ganzen Welt ein Begriff. Wo die Vereinigten Staaten sich in die eine Richtung bewegen, schlägt Kalifornien eine andere ein.
Doch dieses fortschrittliche Kalifornien wankt ständig am Rande des Bankrotts. Nirgendwo ist es so leicht, Steuerreformen zu blockieren, wie in Kalifornien. Für jede Steuererhöhung müsste man im Kongress des Bundesstaates eine Zweidrittelmehrheit zustande bringen – angesichts der starken Polarisierung im Land kein sehr aussichtsreiches Unterfangen. Einerseits werden immer wieder die schönsten Vorhaben auf dem Weg gebracht, andererseits aber dem Staat die dafür notwendigen Mittel vorenthalten. Die Folgen sind überall sichtbar: Im Winter 2009/2010 war sogar einer der wichtigsten Highways des Staates, der Interstate 5, zwischen Los Angeles und San Francisco in Richtung Los Angeles über viele Meilen nur auf dem linken Fahrstreifen befahrbar, weil das Geld für ganz gewöhnliche Ausbesserungsarbeiten fehlte.
In mancher Hinsicht ist Kalifornien vielleicht demokratischer als jeder andere Staat der Welt, aber es leidet auch unter den Nachteilen einer sehr direkten Demokratie. Jeder gewählte Amtsträger, dessen Amtsführung aus irgendeinem Grund Missfallen erregt, kann über einen sogenannten recall wieder abberufen werden. Ein Begehren zu einem recall wird manchmal durch Bürgerinitiativen eingebracht, manchmal aber auch von einer finanzkräftigen Lobby. Am 31. August 2010 meldeten Lokal- und Regionalzeitungen, dass der Bürgermeister von Livingston, Daniel Varela senior, mit Schimpf und Schande aus dem Amt gejagt worden sei. Was hatte er sich zu Schulden kommen lassen? Er hatte es gewagt, die Trinkwassertarife zu erhöhen, zum ersten Mal seit zehn Jahren. Und zwar, um das uralte Wasserleitungssystem der Dreizehntausend-Einwohner-Stadt, aus deren Wasserhähnen nur noch eine bräunliche Brühe kommt, sanieren zu können. »Wir haben nur versucht, verantwortungsvolle Kommunalpolitik zu machen«, sagt Varela.
Der Eigensinn der Kalifornier ist typisch für ein Randgebiet, einen Teil des Kontinents, für den sich die europäischen Mächte jahrhundertelang kaum interessiert haben. In ganz Kalifornien lebten ursprünglich höchstens dreihunderttausend amerikanische
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