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Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Titel: Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geert Mak
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meisten Schulen de facto entweder größtenteils »weiß« oder – wie die von David – größtenteils »schwarz«. Die innerstädtischen Bezirke von Städten wie New York, Chicago oder Oakland investieren in ihre Schulen bisweilen nur ein Drittel der Summen, die reiche Suburbs dafür ausgeben.
    Dem sogenannten Spellings-Bericht zufolge, der 2006 im Auftrag der damaligen Ministerin für Erziehung und Wissenschaft, Margaret Spellings, erstellt wurde, sind die Vereinigten Staaten auf dem Gebiet der Hochschulbildung in der Rangliste der entwickelten Länder auf den zwölften Platz abgerutscht. Wie in manchen europäischen Ländern setzen die meisten Politiker ganz auf Schulleistungstests, als könnte mit ein paar Noten das komplexe Problem schulischen Versagens erfasst werden, obwohl hier viele andere Dinge eine Rolle spielen: zerrüttete Familien, Teenagerschwangerschaften, Drogen oder Überforderung, wenn zum Beispiel Zwölfjährige schon für einen Haushalt verantwortlich sind. Und das Urteil ist immer schnell gefällt: Schuld sind faule Lehrer, schlechte Schulen und egoistische Gewerkschaften.
    Als ich nach dem Unterricht mit David über dieses Thema spreche, sind ihm sein Zorn und seine Niedergeschlagenheit deutlich anzuhören. »Für viele meiner Schüler ist die Schule der Mittelpunkt ihres Lebens, und ihr einziger Halt, ihr Anker. Dieser Mittelpunkt ist bedroht, das sehen viele Politiker einfach nicht. Und es gibt nichts, was ihn ersetzt.«
    Wenn das Erreichen guter Noten zum einzigen Zweck seiner Arbeit werde, könne er genauso gut Affen dressieren. Und außerdem: Schüler mit unterdurchschnittlichen Leistungen – darunter zwangsläufig besonders viele sozial benachteiligte Kinder – würden für immer mit dem Etikett » stupid « und » loser « versehen. Sie hätten dann kaum noch eine Chance. Das öffentliche Schulwesen werde so nach und nach durch ein System von Privatschulen ersetzt, mit Gebühren, die für Davids Schüler unbezahlbar seien. Ja, brummt David, seine Lehrergewerkschaft kämpfe mit Zähnen und Klauen dagegen. Aber man nehme ihr zunehmend die Luft.
    » Stay with me !« Doch selbst für den König und die Königin der Klasse dürfte das Leben hart werden.
    Als ich regelmäßig hier zu Besuch war, in den achtziger und neunziger Jahren, war die große Zeit der Telegraph Avenue längst vorbei, aber Berkeley war immer noch eines der wichtigsten Zentren des anderen Amerika. Das Pinnbrett in Ediths Küche sagte alles. Ich lese nach, was ich mir damals notiert habe.
    »Sonntag: Benefit Recital To Stop Nuclear Weapons Testing .
    Montag: Day Tabling pazifistischer Mütter zum Thema Resisting Apartheid .
    Dienstag: Fundraising für lateinamerikanische Flüchtlinge.
    Mittwoch: Diskussionsabend für Radical Elders .
    Donnerstag: Benefizvorstellung für die Women’s Construction Brigade in Nicaragua .
    Samstag: Informationsveranstaltung über sozialverträgliche Investitionen.«
    Und so weiter, Woche für Woche. Das progressive, »gute« Amerika gönnte sich damals keine Ruhe. Was wurde nicht alles organisiert: der Aufbau von Lazaretten in Nicaragua, Medikamententransporte nach Vietnam und Kuba, Hilfe für Flüchtlinge aus Mittelamerika, Rechtsschutz für Obdachlose und aidskranke Strafgefangene, Protest gegen nukleare Rüstung, Bürgerbegehren gegen Umweltzerstörung. In den Vereinigten Staaten insgesamt waren mindestens dreitausend Antikriegsinitiativen aktiv. Und ihr Engagement blieb nicht ohne Wirkung: 1983 äußerten so viele Amerikaner wie nie zuvor die Ansicht, dass zu viel Geld für Verteidigung ausgegeben werde – nach einer Umfrage von New York Times und CBS nicht weniger als 48 Prozent.
    Es waren längst nicht nur linke liberals , die sich so engagierten. Ohne die Kirchen gäbe es die Bewegung nicht, hörte ich damals viele sagen. Sozialisten, Maoisten, Leninisten, Anarchisten – alle zeigten auf die Kirchen: »Diese Nonnen, sie haben die unglaublichsten Namen, Sisters of the Bleeding Heart , aber man braucht sie nur anzurufen, und sie sind da. Die Suppenküchen für Obdachlose, die Friedensbewegung, all das wird zu einem großen Teil von den Kirchen getragen.«
    Edith und Lou lebten ihre Überzeugungen. Reichtum war für sie Diebstahl, was man besaß, musste man mit anderen teilen; ihre Buchhandlung war zugleich ein Zufluchtsort für jugendliche Streuner, und nie erwarteten sie, dass jemand etwas kaufte. In der Familie erzählte man sich, Lou habe kurz nach dem Zweiten Weltkrieg die

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