Anbetung
Toten.
Der einsame Kojote links von mir ließ sich auf dem Boden nieder, als hätte er jeden Hunger vergessen und jede Kampflust verloren. Er betrachtete die Frau wie ein Hund, der auf ein freundliches Wort seines geliebten Frauchens wartet.
Die ersten drei Kojoten rechts von mir waren zwar nicht so demütig wie der vierte, aber gebannt von diesem Anblick waren sie ebenfalls. Obwohl sie sich nicht angestrengt hatten, hechelten sie und leckten sich unablässig die Lippen, zwei Anzeichen für nervöse Anspannung bei allen Angehörigen der Gattung Canis . Während die Frau an mir vorbei auf den Chevy zuging, scheuten sie vor ihr zurück, nicht furchtsam, sondern wie aus Ehrerbietung.
Als die junge Frau den Wagen erreicht hatte, drehte sie sich zu mir um. Ihr Lächeln war ein Spiegel ihrer Traurigkeit.
Ich bückte mich, um die abgebrochene Flasche leise auf den Boden zu legen. Dann erhob ich mich mit gestiegenem Respekt vor der Wahrnehmungsfähigkeit der Kojoten und den Prioritäten, die sie setzten, maßen sie der Erfahrung eines Wunders doch offenbar eine größere Bedeutung zu als den Forderungen ihres Appetits.
Auch ich trat zum Wagen, schloss die Hintertür der Beifahrerseite und öffnete die Vordertür.
Die Frau betrachtete mich nun mit großem Ernst. Vielleicht bewegte es sie so tief, Jahre nach ihrem Tod wieder gesehen zu werden, wie es mich bewegte, sie in ihrem selbst geschaffenen Fegefeuer zu betrachten.
Sie war schön wie eine halb aufgeblühte Rose, die noch viel Zukunft in sich barg. Bei ihrem Tod war sie offenbar nicht viel älter als achtzehn gewesen, zu jung, um sich so lange an die Ketten dieser Welt zu fesseln, sich zu einem so langen und einsamen Leiden zu verurteilen.
Es musste sich um eine der drei Prostituierten handeln, die ein unzurechnungsfähiger Kunde vor fünf Jahren erschossen hatte, woraufhin der Flüsternde Burger für immer geschlossen worden war. Eigentlich hätte ihr Gewerbe sie abhärten müssen, aber sie schien einen eher zarten, schüchternen Charakter zu haben.
Berührt von ihrer Verletzlichkeit und dem harten Urteil über sich selbst, das sie hier festhielt, streckte ich ihr eine Hand hin.
Statt meine Hand zu nehmen, neigte sie spröde den Kopf. Nach einem Zögern ließ sie die Arme sinken und enthüllte ihre Brüste – und damit die beiden dunklen Einschüsse, die deren Anblick ruinierten.
Zu erledigen hatte sie an diesem öden Ort wahrscheinlich schon lange nichts mehr, und ihr Leben war sicherlich so hart gewesen, dass sie wenig Grund hatte, diese Welt zu sehr zu lieben, um sie verlassen zu wollen. Ihr Widerstand gegen den Weg ins Jenseits lag also wohl in einer Furcht vor dem begründet, was sie erwartete. Ob sie wohl Angst davor hatte, bestraft zu werden?
»Hab keine Angst«, sagte ich zu ihr. »Du warst kein Scheusal in diesem Leben, oder? Bloß einsam, verloren, verwirrt, gebrochen – wie wir alle, die diesen Weg gehen.«
Langsam hob sie den Kopf.
»Vielleicht warst du schwach und töricht, aber das sind viele. Ich bin es auch.«
Sie sah mir wieder in die Augen. Ihre Melancholie kam mir nun tiefer vor, so scharf wie Gram und so anhaltend wie Trauer.
»Ich bin es auch«, wiederholte ich. »Aber wenn ich sterbe, werde ich weiterziehen, und das solltest du auch tun, ohne jede Angst.«
Sie trug ihre Wunden nicht wie ein göttliches Stigma, sondern wie Brandzeichen des Teufels, was sie aber nicht waren.
»Ich habe keine Ahnung, wie es dort ist, aber ich weiß, dass dich ein besseres Leben erwartet, fern von dem Elend, das du hier erlebt hast. Es ist ein Ort, an den du hingehörst und wo du wirklich geliebt werden wirst.«
An ihrem Gesichtsausdruck sah ich, dass die Vorstellung, geliebt zu werden, für sie nur eine kostbare Hoffnung gewesen war, die sich in ihrem kurzen, unglücklichen Leben nie verwirklicht hatte. Schreckliche Erfahrungen, womöglich von ihrer Geburt bis zum Krachen der tödlichen Schüsse, hatten ihre Fantasie verkümmern lassen, und nun war sie außerstande, sich eine andere Welt vorzustellen, wo Liebe eine erfüllte Hoffnung war.
Sie hob die Arme und verschränkte sie, um ihre Brüste und ihre Wunden zu verbergen.
»Hab keine Angst«, sagte ich noch einmal.
Das Lächeln, das nun wieder auf ihr Gesicht trat, war genauso melancholisch wie zuvor, nun jedoch auch geheimnisvoll. Mir war nicht recht klar, ob meine Worte sie getröstet hatten oder nicht.
Ich hätte meine Überzeugung gern eindringlicher vermittelt und fragte mich, wieso ich
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