Angelfall: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
muss Raffe helfen, aber ich muss auch am Leben bleiben und darf nichts Dummes tun. Am liebsten würde ich mich einfach zusammenrollen und mir die Ohren zuhalten.
Ein schroffer Befehl bringt die Hunde zum Schweigen. Die Männer haben Raffe gefunden. Ich kann nicht hören, was sie sagen, nur, dass sie sprechen. Sie klingen nicht besonders freundlich, aber das ist wohl nicht überraschend. Es wird nicht viel geredet, und Raffe kann ich überhaupt nicht hören.
Ein paar Minuten später jagen die Hunde an meinem Baum vorbei. Die beiden emsigen Hunde von vorher bleiben stehen und schnüffeln wieder an den Wurzeln unter mir herum, bevor sie lossprinten, um den Rest des Rudels einzuholen. Dann kommen die Männer.
Derjenige, der den anderen vorher das Handzeichen gegeben hat, führt die Gruppe an. Raffe geht hinter ihm.
Seine Hände sind hinter seinem Rücken zusammengebunden. Blut läuft ihm übers Gesicht und über die Beine. Sein Blick ist starr geradeaus gerichtet. Offensichtlich ist er darauf bedacht, nicht zu mir nach oben zu schauen.
Er wird von zwei Männern flankiert. Ihre Hände ruhen auf seinen Armen, so als würden sie nur darauf warten, dass er stürzt, damit sie ihn den Berg hinaufschleifen können. Zum Schluss folgen noch zwei Männer, die ihre Gewehre im 45-Grad-Winkel halten und nach etwas Ausschau halten, auf das sie schießen können. Einer von ihnen trägt Raffes Tasche.
Die blaue Decke mit seinen Flügeln ist nirgends zu sehen. Das Letzte, was ich gesehen habe, war, wie Raffe sie auf seine Tasche geschnallt hat. Hat er genügend Zeit gehabt, die Flügel zu verstecken, bevor die Hunde ihn eingeholt haben? Wenn ja, dann bringt ihm das höchstens ein paar Stunden.
Er lebt. Immer wieder wiederhole ich diesen Satz in mei nem Kopf, um andere, verstörendere Gedanken von mir fernzuhalten. Wenn mich die Sorge, was mit Raffe oder Paige oder meiner Mutter passiert, allzu sehr lähmt, dann kann ich nichts mehr unternehmen.
Ich versuche, den Kopf freizubekommen. Planen ist ohnehin müßig. Ich habe gar nicht genug Informationen, um einen Plan zu schmieden. Meine Instinkte werden genügen müssen.
Und meine Instinkte sagen mir, dass Raffe mir gehört. Ich habe ihn zuerst gesehen. Wenn diese mit Testosteron vollgepumpten Paviane ein Stück von ihm wollen, dann müssen sie warten, bis er mich zu seinem Horst geführt hat.
Als ich die Männer nicht mehr hören kann, klettere ich von meinem Ast herunter. Bis nach unten ist es noch ziemlich weit, und ich achte sorgsam darauf, meine Füße in die richtige Position zu bringen, bevor ich mich herunterschwinge. Das Letzte, was ich jetzt brauche, ist ein gebro chener Knöchel. Die Nadeln federn meinen Sprung ab, und ich komme unversehrt am Boden auf.
Ich sprinte bergab in die Richtung, in die Raffe vorhin gerannt ist. Ungefähr fünf Minuten später habe ich die Flügel. Er muss das Bündel im Laufen in einen Busch geworfen haben, denn es liegt nur teilweise verborgen im Unterholz. Ich schnalle es auf meinen Rucksack und haste den Männern hinterher.
15
Die Hunde sind ein Problem, da werde ich mein Hirn einschalten müssen. Wenn ich auf der Lauer liege, kann ich mich vielleicht vor den Männern verstecken, aber nicht vor den Hunden. Trotzdem renne ich weiter. Eins nach dem anderen. Mich packt die überraschend starke Furcht, dass ich es nicht schaffe, sie aufzuspüren. Aus meinem Jogging-Tempo wird ein Sprint.
Als ich sie endlich sehe, bin ich so außer Atem, dass ich mich zusammenkrümme. Es überrascht mich, dass sie nicht hören, wie ich nach Luft ringe.
Sie nähern sich einem Gebäudekomplex, der auf den ersten Blick ziemlich heruntergekommen wirkt. Bei näherem Hinsehen sind die Häuser aber eigentlich ganz in Ordnung. Sie sehen nur heruntergekommen aus, weil sich Äste gegen ihre Mauern lehnen und sich über dem eingezäunten Gelände zu einem Blätterdach verweben. Die Äste wurden mit Bedacht aufgestellt, sodass es aussieht, als seien sie auf natürliche Weise von den Bäumen gefallen. Ich wette, von oben unterscheidet sich die Stelle nicht vom Rest des Waldes. Ich wette, von oben kann man die Gebäude überhaupt nicht sehen.
Maschinengewehre – versteckt unter dem Blätterdach der Mammutbäume – umzingeln den Gebäudekomplex und sind allesamt gen Himmel gerichtet.
Das Ganze macht nicht unbedingt den Eindruck eines engelfreundlichen Camps.
Weitere Männer in Tarnanzügen nehmen Raffe und die fünf Jäger in Empfang. Auch Frauen gibt es hier, aber
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