Angst
deutete mit dem Messer zur Wanne. »In die Badewanne«, wiederholte er. Nach einer endlos langen Pause zog Hoffmann den Duschvorhang zur Seite und stieg mit zitternden Beinen über den Badewan nenrand. Seine schweren Desert-Boots erzeugten ein dumpfes Geräusch auf dem billigen Kunststoff. Der Mann bewegte sich ein bisschen weiter in den winzigen Raum hinein, der so eng war, dass sein Körper fast die gesamte Bodenfläche einnahm. Er zog an der Lichtschnur. Zuckend ging die Neonröhre über dem Waschbecken an. Er schloss die Tür und sagte: »Ausziehen.« In seinem langen Ledermantel sah er wie ein Metzger aus.
»Nein«, sagte Hoffmann. Er schüttelte den Kopf und breitete die Hände aus, als wollte er ihm sagen, dass er doch Vernunft annehmen solle. »Nein. Kommt nicht infrage.« Der Mann stieß mit dem Messer ruckartig in Hoffmanns Richtung. Obwohl er sich blitzschnell in die Ecke unter dem Duschkopf presste, schlitzte die Klinge seinen Regenmantel auf. Der Stofffetzen fiel nach unten und baumelte um seine Knie. Einen entsetzlichen Augenblick lang glaubte Hoffmann, es wäre ein Fetzen seines Fleischs. »Ja, ja, schon gut, ich mach’s ja.« Die Situation war so bizarr, als hätte sie gar nichts mit ihm zu tun, als widerführe das alles jemand völlig anderem. Hastig zog er sich erst den einen, dann den anderen Ärmel von den Schultern. Er hatte kaum genug Platz, um die Arme aus den Ärmeln zu ziehen. Sie verhedderten sich hinter seinem Rücken. Er sah aus wie jemand, der sich aus einer Zwangsjacke befreien wollte.
Krampfhaft suchte er nach passenden Worten, um einen Kontakt zu seinem Angreifer herzustellen, um die Auseinandersetzung auf eine andere, weniger lebensbedrohende Ebene zu ziehen. »Sind Sie Deutscher?«, fragte er, aber der Mann reagierte nicht darauf.
Schließlich hatte er sich den zerfetzten Mantel vom Leib gezerrt und ließ ihn in die Wanne fallen. Er zog die Jacke aus und hielt sie dem Mann hin, der ihm mit dem Messer bedeutete, sie auf den Boden zu werfen. Hoffmann fing an, sein Hemd aufzuknöpfen. Wenn nötig, würde er sich ausziehen, bis er nackt war, aber wenn der Mann versuchen sollte, ihn zu fesseln, würde er sich wehren, dann würde er es auf einen Kampf ankommen lassen. Eher würde er sterben, als sich vollkommen wehrlos zu machen.
»Warum tun Sie das?«, fragte er.
Der Mann sah ihn wie ein erstauntes Kind an und sagte: »Weil Sie mich dazu aufgefordert haben.«
Hoffmann starrte ihn fassungslos an. »Was? Ich habe Sie dazu aufgefordert?«
Der Mann fuchtelte wieder mit dem Messer herum. »Los, weiter, ausziehen!«
»Hören Sie. Ich habe Sie nie zu irgendwas …«
Hoffmann zog sein Hemd aus und warf es auf die Jacke. Er dachte angestrengt nach, schätzte Risiken und Chancen ab. Er zog das T-Shirt über den Kopf. Als sein Gesicht wieder auftauchte und er in die gierigen Augen seines Gegenübers blickte, bekam er eine Gänsehaut. Aber er spürte auch die Schwäche seines Gegenübers, er spürte, dass das seine Chance war. Er zwang sich dazu, das weiße Baumwoll-T-Shirt langsam zusammenzuknüllen und ihm hinzuhalten. »Hier.« Als der Mann die Hand ausstreckte, schob Hoffmann einen Fuß nach hinten gegen die Wannenwand, um einen festen Stand zu haben, beugte sich einladend vor und – »Hier, da hast du’s« – stürzte sich auf ihn.
Der Aufprall reichte, um seinen Widersacher umzureißen. Das Messer flog durch die Luft, und sie stürzten so ineinander verkeilt zu Boden, dass keiner von beiden zu einem Fausthieb ausholen konnte. Hoffmann wollte ohnehin nur weg, raus aus diesem klaustrophobischen Drecksloch von Badezimmer. Er wollte sich mit einer Hand am Waschbeckenrand hochzuziehen und packte mit der anderen die Lichtschnur, verlor jedoch sofort wieder den Halt. Der Raum versank im Dunkeln, und eine Hand zog ihn am Fußgelenk wieder nach unten. Mit der freien Ferse hieb er auf die Hand ein. Der Mann heulte vor Schmerz auf. Während Hoffmann mit der Hand nach dem Türgriff tastete, trat er weiter mit dem Fuß um sich. Er spürte, dass er auf Knochen traf, und hoffte, dass es sich um den Pferdeschwanzschädel handelte. Er hatte nur einen einzigen, primitiven Gedanken: Wenn ein Mann am Boden liegt, dann tritt auf ihn drauf, tritt drauf, tritt drauf, tritt drauf. Sein Gegner rollte sich winselnd zu einem Fötus zusammen. Als er sich nicht mehr rührte, öffnete Hoffmann die Badezimmertür und stolperte ins Schlafzimmer.
Er ließ sich auf den Holzstuhl fallen und legte den Kopf zwischen
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