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Angsthauch

Angsthauch

Titel: Angsthauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Crouch
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anders«, sagte Rose.
    »Aber das ist doch unsere Mama …«
    »Tut mir leid. Der Besitzer hat sich sehr klar ausgedrückt. Keine Ausnahmen. Er rechnet mit einem vollen Haus. Das ist einfach nichts für euch.«
    »Der Scheißbesitzer kann mich mal am Arsch lecken«, knurrte Nico.
    »Nico!«
    Eigentlich taten die beiden Rose leid. Um sie darüber hinwegzutrösten, dass sie das Konzert ihrer Mutter verpassen würden, versprach sie, es zu filmen. Auf diese Weise würde Nico es unter Aufsicht bei ihnen zu Hause zu sehen bekommen, wo sie seine Reaktion auffangen konnte.
    *
    »Ich bin dann mal weg. Wir sehen uns später.«
    Am Tag ihres Konzerts ließ sich Polly ausnahmsweise unten im Haus blicken, um sich von den Kindern zu verabschieden, bevor sie zum Soundcheck ins Pub ging. Es war ein Unplugged-Konzert, aber Polly hatte gesagt, sie wolle sich ein Gefühl für die Bühne verschaffen.
    »Drückt mir die Daumen«, bat sie, als sie Nicos Haare strubbelte. Er sah sie finster an.
    »Tschüs, Mama.« Yannis reckte sich und drückte sie fest. Eine Sekunde lang schloss sie die Augen, und ihre rußschwarzen Wimpern legten sich auf ihre glühenden Wangen. Ihr Mund, der durch den roten Lippenstift wie eine klaffende Wunde aussah, verzog sich zur Andeutung eines Lächelns, als sie eine große knochige Hand auf seine kleine Schulter legte. Dann war der Moment auch schon wieder vorbei.
    »Ich muss«, sagte sie und machte sich los. »Mein Publikum erwartet mich.« Damit stolzierte sie, die Gitarre auf dem Rücken, aus dem Haus.
    Rose starrte in die Sauce Bolognese, die sie gerade umrührte. Polly hatte keinerlei Notiz von ihr genommen. Aber es war gut, sie so energiegeladen zu sehen. Bewegung, gleich welcher Art, war gut. Wenn sie einmal in Fahrt kam, konnte sich Schwung aufbauen, und vielleicht würde Polly ja, am höchsten Punkt ihrer Bewegungskurve angelangt, einfach weiterfliegen, auf und davon. Aber dann dachte Ro se an die Jungen und daran, was aus ihnen werden würde, wenn sie ihrem Einfluss entzogen wären.
    Sie drehte sich um und sah die beiden an der Tür stehen, von wo aus sie in den Vorgarten starrten, auf den leeren Raum, den Polly zurückgelassen hatte.
    »Könntest du mal nachsehen, ob die Kamera noch auflädt, Nico? Sie steckt in der Steckdose neben dem Fernseher.«
    *
    Eine halbe Stunde später tauchte Gareth aus dem Atelier auf.
    »Noch nicht fertig?« Er sah Rose fragend an, die immer noch in der Sauce rührte. »Denk dran, wir müssen uns noch umziehen.«
    Rose trug ein ungewaschenes T-Shirt und ihre Gartenhose – eine uralte, weite Latzhose, die sie während der Schwangerschaft und der Umbauarbeiten fast täglich angehabt hatte. Sie war voller Farb- und Mörtelflecken und hatte ein riesiges Loch, aus dem ihr mit Gartenerde verschmiertes Knie hervorschaute. In letzter Zeit hatte Rose die Hose wieder öfter getragen, und sie spielte mit dem Gedanken, sie einfach anzulassen, wenn sie nachher ins Pub gingen. So würde sie wenigstens nicht den Eindruck erwecken, als hätte sie sich zu viel Mühe gegeben. Aber das kam natürlich nicht in Frage. Die Leute würden reden.
    »Entschuldige, ich habe ein bisschen geträumt.« Sie blinzelte und machte sich daran, das Spaghettiwasser aufzusetzen und den Tisch zu decken, während Gareth seine tintenverschmierten Finger im Spülbecken schrubbte.
    »Heute war ein toller Tag«, meinte er. »Der Durchbruch bei meinem Fluss-Projekt.«
    »Ach ja?«
    »Ich habe endlich die Sprache gefunden, nach der ich gesucht habe. Meine ganzen Experimente mit digitaler Modifikation, Radierungen und Schraffuren kamen mir irgendwie falsch vor. Nicht authentisch. Es werden Holzschnitte, Rose. Definitiv Holzschnitte.«
    »Holzschnitte!«
    »Ich verwende das Holz von den Bäumen, die am Ufer wachsen.«
    »Darf man das denn?« Sie stellte sich ein von Baumstümpfen gesäumtes Flussufer vor, wie auf einem Foto in einem Artikel über die Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes. Hektarweise Kahlschlag.
    »Ich nehme ja nur hier und da einen Ast. Das Holz zu schneiden ist Teil des Ganzen. Und die Eingriffe ins Material sollen minimal bleiben, nur eine Andeutung, um den Weg des Wassers erfahrbar zu machen. Im Wesentlichen will ich die Maserung selbst zu Wort kommen lassen. Und dann …« Er hielt inne und trocknete sich die nur teilweise gesäuberten Hände an einem Geschirrtuch ab. Er hinterließ schwarze Tintenflecken darauf, was bedeutete, dass Rose das Tuch gleich wieder in die Wäsche würde geben

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