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Animus

Animus

Titel: Animus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
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noch bleich wie eine Wasserleiche, bohrte sie ihren Blick in mich. »Was ist mit den anderen passiert? Sind sie alle daran gestorben? In Baltimore waren von jeder Stufe zwei da. Das macht insgesamt achtzehn Frauen. Die beiden Fünfzehner, Cathy und Marla, sind tot. Was ist mit den anderen sechzehn Frauen? Ich will es jetzt wissen!«
    Nachdem ich Katya und Lucy eindringlich klargemacht hatte, dass unser aller Leben keinen Pfifferling mehr wert war, wenn herauskäme, dass sie Bescheid wussten, fuhr ich mit meinem schaurigen Bericht fort. Tonnenschweren Herzens und inzwischen auch mit schwerer Zunge.
    »In der Nacht, als Cathy und Marla starben, bin ich wieder zurück nach Washington gefahren. Ich habe es in der Villa nicht ausgehalten. Meinen beiden Assistenten ging es genauso. Wir haben das Labor geschlossen und uns verpisst. Feige. Ich fuhr den ganzen Weg wieder zurück durchs Schneegestöber. Und betrank mich zu Hause. Am späten Nachmittag des ersten Weihnachtsfeiertages wachte ich durchs Telefonklingeln auf. Ich war noch gar nicht richtig bei mir, als ich abhob und Frau Walters Stimme – Frau Walter war die Hauswirtschafterin der Villa – wie durch einen Nebel zu mir drang: ›Sie bringen alle um, sie bringen alle um‹, schrie sie. Dann brach die Verbindung ab. Ich war blitzschnell ernüchtert, zumindest bildete ich mir das ein, sprang in meine Kleider und raste mit meinem Auto wieder raus nach Baltimore. Es schneite immer noch. Ich rutschte und schlitterte mehr über die Straßen, als dass ich fuhr. Vielleicht hoffte ich unbewusst, gegen einen Baum zu prallen und mir auf diesem Wege zu ersparen, was mich in der Villa erwarten würde. Ich hatte fürchterliche Angst und ahnte auch, wovor. Dieses Mal öffnete mir niemand, als ich vor der Freitreppe aus dem Auto stieg. Es war nicht nötig. Die Tür stand offen. Ich glaube, ich blieb einige Sekunden im Schnee stehen, ohne den geringsten klaren Gedanken in meinem Schädel.
    Plötzlich fällt im Park ein Schuss, ich renne unlogischerweise ins Haus hinein. Zwei der Frauen, es waren Cindy und Sharon, liegen links im Wohnzimmer. Es sieht so absurd aus, so unwirklich! Das Wohnzimmer ist weihnachtlich dekoriert mit Kerzen, Lametta und Engelshaar am Weihnachtsbaum. Sie liegen da, Sharon auf dem Boden, zwischen zerknülltem Geschenkpapier, Cindy halb auf dem Sessel. Sie sind nackt. Cindys Augen sind weit geöffnet. Sie hat eine Kette mit Weihnachtsbeleuchtung um den Hals und die Brüste gewickelt. Die Lichter, sie sind rot und blau und grün und gelb, gehen an und aus, an und aus. Blut klebt überall auf den Teppichen, den Stühlen und dem Sofa. Auf der Treppe liegt die Nächste, ebenfalls erschossen. Christine. Ich renne in den zweiten Stock, vorbei an einigen Schatten, die mir auf der Treppe entgegenkommen, mich genauso wenig beachten wie ich sie. Ich bin außer mir. Ellen liegt in der Badewanne. Die Wanne ist voller Blut. Sie hat sich die Pulsadern aufgeschnitten. Rosanna hängt an einem Gürtel am Fensterkreuz ein Zimmer weiter. In jedem Zimmer liegt eine, überall ist Blut – auf den Böden, den Möbeln, im Flur, an den Wänden. Manche sind halb, manche ganz ausgezogen. Sie haben ihnen die Kleider runtergezerrt, haben sie vergewaltigt, bevor sie sie erschossen haben. Das ist das Einzige, was ich sehe: Sie sind alle tot, tot, tot. In Sherrys Zimmer liegt sogar Frau Walters, auch tot, alle sind tot. Ich, ich weiß nicht, ich glaube, ich bin zusammengebrochen, ich weiß nicht, ich …«
    Lucy schüttelte mich kräftig an der Schulter. Nur langsam begriff ich, dass ich nicht in Baltimore war, sondern in Washington, vier Jahre später, und dass die Frauen an meinem Tisch noch lebten. Diese beiden lebten noch. Meine Hände zitterten. Katya hielt mir ihr Glas hin. Ich trank.
    Erst nach wenigen Minuten konnte ich weitersprechen: »Irgendwann kam Walcott die Treppe rauf, auf der ich wie betäubt saß. Ich weiß nicht mehr, wie lange ich dagesessen habe. Minuten, Stunden? Walcott ließ mich von einem seiner Metzger nach Hause fahren. Ich konnte keinen Widerstand leisten, konnte überhaupt nichts, habe nur mich hingestiert. Zwei Tage später wurde ich zum Präsidenten gerufen. Walcott war da, Snyder ebenfalls. Walcott erzählte, dass die Weiber, wie er immer sagt, nach dem Tod von Cathy und Marla vollkommen ausgerastet seien. Zwei hätten sich umgebracht, drei wären mit Messern auf die Schatten losgegangen. Sie wären alle total hysterisch gewesen, ein Sicherheitsrisiko. Eine

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