Anleitung zum Alleinsein
ich schrieb.
Im Frühjahr 1994 war ich ein sozial isoliertes Individuum, dessen verzweifelter Wunsch es vor allem war, ein wenig Geld zu verdienen. Nachdem meine Frau und ich uns zum letzten Mal getrennt hatten, unterrichtete ich an einem kleinen geisteswissenschaftlichen College literarisches Schreiben, und obwohl ich viel zu viel Zeit daran verschwendete, machte mir die Arbeit Spaß. Das Können und der Ehrgeiz meiner Studenten, die noch gar nicht geboren gewesen waren, als die Satire-Show
Rowan & Martin’s Laugh-In
erstmals ausgestrahlt wurde, feuerten mich an. Dass mehrere meiner besten Schreiber allerdings geschworen hatten, nie wieder einen Literaturkurs zu belegen, bedrückte mich. An einem Abend berichtete ein Student, in seinem Kurs über zeitgenössische Literatur hätten sie eine ganze Stunde lang die Frage diskutieren müssen, ob die Romanautorin Leslie Marmon Silko homophob sei oder nicht. An einem anderen Abend, ich kam gerade in den Seminarraum, schütteten sich drei Studentinnen über den utopisch-feministischen Roman, den sie für ein Oberseminar «Frauen und Literatur» lesen mussten, vor Lachen aus.
Der therapeutische Optimismus, der heute in Amerikanistik-Seminaren wütet, will Romane unbedingt in zwei Schubladen sortieren: «Krankheitssymptome» . (kanonische Werke aus der Dunklen Zeit vor 1950) und «Medizin für eine glücklichere und gesündere Welt» . (Werke von Frauen und nichtweißen oder nichtheterosexuellen Autoren). Dabei sind die zeitgenössischen Schriftsteller, deren Werk von der akademischen Welt ein derart optimistischer Nutzen zugeschrieben wird, nur selten dafür verantwortlich zu machen. Dass der amerikanische Roman noch immer kulturelle Autorität – einen Reiz über das Akademische hinaus, eine Relevanz in Alltagsgesprächen – hat, ist weitgehend das Verdienst von Frauen. Sachkundige Buchhändler schätzen, dass siebzig Prozent aller Literatur von Frauen gekauft wird, und deswegen ist es vielleicht kein Wunder, dass in den letzten Jahren so viele Crossover-Romane – Bücher, die zugleich gut und erfolgreich sind – von Frauen geschrieben wurden: Da gibt es fiktive Mütter, die einen nüchternen Blick auf ihre Kinder werfen, im Werk von Jane Smiley und Rosellen Brown; fiktive Töchter, die ihren chinesischen Müttern (Amy Tan) oder Chippewa-Großmüttern (Louise Erdrich) zuhören; eine fiktive freigelassene Sklavin im Gespräch mit dem Geist ihrer Tochter, die sie umgebracht hat, um sie vor der Sklaverei zu bewahren (Toni Morrison). Das Düstere dieser Romane ist keine politische Düsternis, die sich durch das Erhellende der zeitgenössischen Kritischen Theorie vertreiben ließe; es ist das Düstere von Leiden, für die es keine schnelle Heilung gibt.
Der gegenwärtige Erfolg der Romane von Frauen und kulturellen Minderheiten zeigt, wie chauvinistisch es ist, die Lebendigkeit der amerikanischen Literatur an der Qualität des herkömmlichen Gesellschaftsromans zu messen. Man könnte sogar sagen, die literarische Kultur des Landes sei
gesünder
, weil sie sich von der Mainstream-Kultur abgekoppelt habe, ja dass eine allgemeine «amerikanische» Kultur kaum mehr als ein Instrument derPerpetuierung einer weißen, männlichen, heterosexuellen Elite gewesen sei und ihr Niedergang der gerechte Lohn einer überlebten Tradition. (Joseph Hellers Darstellung von Frauen in
Catch 22
beispielsweise ist so peinlich, dass ich gezögert habe, das Buch meinen Studenten zu empfehlen.) Gut möglich, dass Amerika sich inzwischen als so weit gefächert und zersplittert erlebt, dass kein einzelner «Gesellschaftsroman» eines Dickens oder Stendhal es auch nur annähernd spiegeln könnte; vielleicht braucht es dazu jetzt zehn Romane aus zehn verschiedenen kulturellen Perspektiven.
Bedauerlicherweise gibt es auch Anzeichen dafür, dass junge Autoren sich heute in ihrer ethnischen oder geschlechtlichen Identität eingesperrt fühlen – eine Kultur, in der das Fernsehen uns konditioniert hat, einzig die authentische Selbstauskunft zu akzeptieren, ermutigt sie nicht gerade, über Grenzen hinweg zu sprechen. Und das Problem wird noch verschärft, wenn Schriftsteller ihr Heil in universitären Creative-Writing-Kursen suchen. Die typische kleine Literaturzeitschrift, herausgegeben von angehenden
Masters of Fine Arts
, die wissen, dass angehende
Masters of Fine Arts
deshalb Manuskripte einreichen, weil sie, um einen Lehrauftrag zu bekommen oder wieder zu bekommen, publizieren müssen,
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