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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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sehr gut. Im vorigen Jahre, bei Nikolai Iwanowitsch, dem
    Adelsmarschall.«
    »Nun, wie geht denn jetzt Ihre Wirtschaft?« fragte Ljewin.
    »Es ist immer dieselbe Geschichte; man wirtschaftet mit Verlust«, antwortete der Gutsbesitzer, der neben ihm
    stehengeblieben war. Er lächelte dabei ergebungsvoll; seine Miene war ruhig und bekundete seine Überzeugung, daß es
    eben so sein müsse. »Und Sie? Wie kommen Sie denn eigentlich in unser Gouvernement?« fragte er. »Sie sind wohl
    hergekommen, um bei unserm coup d'état 1 mitzuwirken?« fügte er hinzu; er sprach die französischen Worte ohne Unsicherheit, aber schlecht aus.
    »Ganz Rußland hat sich hier zusammengefunden: selbst Kammerherren und womöglich sogar Minister.« Er wies auf die
    stattliche Gestalt Stepan Arkadjewitschs in weißen Hosen und der Kammerherrenuniform, der gerade mit einem General
    zusammen ging.
    »Ich muß Ihnen gestehen, daß ich für die Bedeutung der Adelswahlen sehr wenig Verständnis habe«, sagte
    Ljewin.
    Der Gutsbesitzer sah ihm ins Gesicht.
    »Aber was ist denn da zu verstehen? Von irgendwelcher Bedeutung ist dabei überhaupt nicht die Rede. Das Ganze
    ist eine wertlos gewordene Einrichtung, die nur durch das Beharrungsvermögen in mechanischer Bewegung bleibt. Sehen
    Sie nur die Uniformen an; auch die sagen Ihnen: dies ist eine Versammlung von Friedensrichtern, von ständigen
    Beisitzern dieser und jener Behörden und so weiter, aber nicht von Edelleuten.«
    »Warum sind Sie denn dann hergekommen?« fragte Ljewin.
    »So aus alter Gewohnheit; das ist der erste Grund. Und dann muß ich auch allerlei Beziehungen aufrechterhalten.
    Bis zu einem gewissen Grade betrachte ich es auch als eine sittliche Verpflichtung. Und dann, die Wahrheit zu
    sagen, habe ich diesmal auch eine eigene Angelegenheit. Mein Schwager möchte sich gern für ein Amt bei einer
    Adelsbehörde wählen lassen; er ist nicht reich, und da muß ich ihm ein bißchen behilflich sein. Sehen Sie einmal
    diese Herren da; warum kommen die denn her?« sagte er und wies auf jenen bissigen Herrn, der vorher am
    Gouvernementstische gesprochen hatte.
    »Das ist die neue Generation des Adels.«
    »Neu ist sie schon; aber richtiger Adel ist das nicht. Das sind Grundbesitzer, während wir Landwirte sind. Als
    Edelleute begehen sie eigentlich eine Art Selbstmord.«
    »Aber Sie sagten doch, daß diese ganze Einrichtung sich überlebt hätte.«
    »Überlebt hat sie sich freilich; aber doch sollte man mit ihr etwas ehrerbietiger verfahren. Da ist zum Beispiel
    dieser Snetkow ... Ob wir nun etwas taugen oder nicht, aber jedenfalls sind wir das Ergebnis eines tausendjährigen
    Wachstums. Wissen Sie, wenn man sich vor dem Hause ein Gärtchen anlegen will, so möchte man sich dazu ein Stückchen
    Boden frei und eben machen, und nun wächst vielleicht gerade an der Stelle bei Ihnen ein hundertjähriger Baum. Wenn
    der auch krumm gewachsen und alt ist, so werden Sie doch um der Blumenbeete willen den alten Kerl nicht umhauen,
    sondern die Beete so anlegen, daß Sie sich auch den Baum dabei nach Möglichkeit zunutze machen. So einen Baum zieht
    man nicht in einem Jahre heran«, sagte er, vorsichtig jedes Wort überlegend, und brachte dann das Gespräch sogleich
    auf einen andern Gegenstand. »Nun, und wie steht's mit Ihrer Wirtschaft?«
    »Nicht gerade besonders. Fünf Prozent bringt sie ein.«
    »Ja, aber dabei rechnen Sie Ihre eigene Person nicht mit. Ihre Arbeitskraft ist ja doch auch etwas wert, nicht
    wahr? Sehen Sie, ich will da einmal von mir selbst sprechen. Ehe ich selbst wirtschaftete, bekam ich in einem Amte,
    das ich bekleidete, jährlich dreitausend Rubel Gehalt. Jetzt arbeite ich mehr, als ich als Beamter arbeitete, und
    erziele ebenso wie Sie meine fünf Prozent, und auch das nur, wenn's Gott gibt. Und meine eigene Arbeit gebe ich
    umsonst.«
    »Warum tun Sie es denn dann? Wenn es doch offenbarer Schaden ist?«
    »Ja, man tut es eben doch! Was soll man machen? Man ist es so gewohnt und weiß, daß es nun einmal so sein muß.
    Ich will Ihnen noch mehr sagen«, fuhr, sich mit dem Ellbogen auf das Fensterbrett stützend, der Gutsbesitzer fort,
    der ins Reden gekommen war; »mein Sohn hat keine Lust zur Landwirtschaft. Er will Gelehrter werden. Es wird also
    niemand da sein, der mein Lebenswerk weiterführt. Und doch arbeitet man daran fort. So habe ich mir in diesem Jahre
    einen Garten angelegt.«
    »Ja, ja«, erwiderte Ljewin, »das ist vollkommen richtig. Ich habe immer die

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