Anna Karenina
Jugendkamerad, den er damals gefördert hatte; und am
allermeisten sein schlichtes, gegen alle gleiches Benehmen, durch das die Mehrzahl der Edelleute sehr bald
veranlaßt wurde, ihr Urteil über seinen vermeintlichen Hochmut zu ändern. Er fühlte selbst, daß, mit Ausnahme
dieses läppischen Herrn, des Mannes von Kitty Schtscherbazkaja, der à propos de bottes 1 ihm mit sinnlosem Ingrimm einen Haufen unpassender Dummheiten
gesagt hatte, jeder Edelmann, dessen Bekanntschaft er gemacht hatte, sein Anhänger geworden war. Er war sich
darüber klar, und auch andere erkannten dies als richtig an, daß er zu Newjedowskis Erfolg sehr wesentlich
mitgewirkt hatte. Und jetzt, wo er in seinem Hause und an seinem Tische Newjedowskis Wahl festlich beging, empfand
er ein angenehmes Gefühl der Genugtuung, weil der von ihm geförderte Kandidat gesiegt hatte. Die Wahlen selbst
hatten so verlockend auf ihn gewirkt, daß er sich vornahm, wenn er sich innerhalb der nächsten drei Jahre
verheiratet haben würde, selbst zu kandidieren – gerade wie er nach einem durch seinen Rennreiter gewonnenen Preise
Lust bekam, selbst mitzureiten.
Vorläufig wurde jetzt der Sieg des Jockeis gefeiert. Wronski saß an der Spitze der Tafel, zu seiner Rechten der
Gouverneur, ein noch junger Mann, General à la suite 2 . Für alle andern war dies der höchste Chef des Gouvernements, der die Wahlen
feierlich eröffnet, eine Rede gehalten und, wie Wronski sah, bei vielen ein Gefühl tiefer Ehrfurcht und
knechtischer Ergebenheit hervorgerufen hatte; für Wronski dagegen war das Maslow Katka (das war sein Spitzname im
Pagenkorps gewesen), der ihm gegenüber verlegen war und den er versuchte mettre à son aise 3 . Zu seiner Linken saß Newjedowski mit seinem noch jugendlichen,
starren, giftig blickenden Gesicht. Mit ihm verkehrte Wronski in ungezwungenem, achtungsvollem Tone.
Swijaschski ertrug seinen Mißerfolg mit heiterer Miene. Eigentlich war dies gar nicht einmal ein Mißerfolg für
ihn, wie er selbst sagte, indem er sich mit seinem Sektglase zu Newjedowski wandte: man habe gar keinen besseren
Verfechter der neuen Richtung finden können, die der Adel nunmehr einschlagen müsse; und darum stehe, sagte er,
jeder ehrenhafte Mann auf der Seite des heutigen Siegers und feiere dessen Erfolg.
Stepan Arkadjewitsch war gleichfalls guter Laune, weil er seine Zeit in so vergnüglicher Weise hinbrachte und
weil alle um ihn herum zufrieden waren. Während der erlesenen Tafel besprach man einzelne Vorkommnisse des
Wahlkampfes. Swijaschski machte in spaßhafter Weise die weinerliche Redeweise des Adelsmarschalls nach und
bemerkte, zu Newjedowski gewendet, Seine Exzellenz werde sich wohl für eine andere, minder einfache Art der
Kassenprüfung entscheiden müssen, als es Tränen des Verwalters der Kasse wären. Ein anderer Edelmann erzählte sehr
scherzhaft, der bisherige Gouvernements-Adelsmarschall habe sich für einen Ball, den er habe geben wollen, bereits
Diener in Kniehosen kommen lassen; wenn nun der neue Gouvernements-Adelsmarschall keinen Ball mit Dienern in
Kniehosen gebe, so müßten die Leute wieder zurückgeschickt werden.
Während der Tafel gebrauchten die Tischgenossen, wenn sie sich zu Newjedowski wandten, fortwährend die
Ausdrücke: »unser Gouvernements-Adelsmarschall« und »Euer Exzellenz«.
Sie verwendeten diese Ausdrücke mit demselben Vergnügen, mit dem man eine neuvermählte Frau mit Madame oder mit
dem Namen ihres Mannes anredet. Newjedowski tat, als seien ihm diese Bezeichnungen nicht nur gleichgültig, sondern
als verachte er sie geradezu; aber es war klar, daß sie ihn sehr glücklich machten und er sich gewaltsam zwingen
mußte, sein Entzücken nicht zu zeigen, da es zu der neuen fortschrittlichen Richtung, der alle Anwesenden
huldigten, nicht gepaßt hätte.
Während der Tafel wurden mehrere Telegramme an Personen abgesandt, bei denen man Anteilnahme für das Ergebnis
der Wahl voraussetzte. Auch Stepan Arkadjewitsch, der sich in höchst vergnügter Stimmung befand, sandte an Darja
Alexandrowna ein Telegramm folgenden Inhalts: »Newjedowski gewählt, zwanzig Stimmen Mehrheit. Ich hocherfreut.
Weiterverbreiten.« Er diktierte das Telegramm laut und bemerkte dazu: »Man muß ihnen doch eine Freude machen.« Aber
als Darja Alexandrowna das Telegramm empfing, seufzte sie nur über den dafür ausgegebenen Rubel und zweifelte
keinen Augenblick daran, daß es gegen Ende eines Festmahls abgesandt war.
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